Blick am Abend bittet zu Tisch (und speist mit Unappetitlichem ab)

Marko KovicBlog, Skeptiker-Blog2 Comments

Wenn es ein Thema gibt, welches ein massenmedialer Dauerbrenner ist, dann Ernährung: Alle sind wir Laienexpertinnen und -experten bei Ernährungsfragen, weil wir selber ja viel Erfahrung damit haben, essen wir doch mehr oder weniger ununterbrochen. Auch können sich die meisten von uns vorstellen, dass Ernährung etwas mit Gesundheit zu tun hat, und wir wissen alle, dass unsere Wohlstandsgesellschaft immer feister wird. Dazu ist uns allen klar, dass wir heutzutage viel zu viele Fertiggerichte und Junk Food runterwürgen, und zu wenig selber zu kochen und zu selten bewusst speisen. Die Zusammenhänge liegen doch auf der Hand, oder?

Die Frage, wie unser Körper tatsächlich auf welche Nährstoffe reagiert, ist eine äusserst komplizierte, wie nicht zuletzt in Folge 18 von SkeptisCH zu hören ist. Umso angenehmer ist es, wenn jemand populärwissenschaftlich zusammenfasst, was die moderne Wissenschaft sagt. So geschehen im Blick am Abend vom 21. Juni 2013:

Blick am Abend - Nahrung und Gene

Auf den ersten Blick (hö hö) handelt es sich um einen harmlosen Artikel, der propagiert, man solle möglichst selber kochen und so etwas wie naturbelassene Nahrungsmittel zu sich nehmen («Essen Sie frische und biologische Lebensmittel»). Bei genauerem Durchslesen offenbart sich das ganze Ausmass des Artikels, wird doch erklärt, wodurch «unter anderem Autismus, Depressionen und Krebs» entstehen. Eine ernährungswissenschaftlich-medizinische Revolution im Blick am Abend?

Die Studie

Der Blick am Abend-Artikel bezieht sich nicht direkt auf eine Studie, sondern auf das populärwissenschaftliche Buch «Deep Nutrition» von Catherine Shanahan (und nicht «Shenahan», wie im Artikel fälschlicherweise steht). Das Buch habe ich nicht gelesen, und kann entsprechend nicht wirklich zu dessen Inhalt etwas sagen, sondern nur zur Zusammenfassung im Blick am Abend. Shanahan scheint jedenfalls die Ansicht zu vertreten, dass falsche Nahrung schuld für Krankheiten ist («Medical School Does Not Get to the Root of Illness»). Darüber hinaus gehört sie zu jenen Menschen, die behaupten, Aluminium in Impfstoffen wie auch in Nahrungsmitteln verursache Autismus – eine Hypothese, die als widerlegt anzusehen ist.

«[E]in Beispiel unter Tausenden» in genanntem Buch soll eine Studie sein, in welcher die Auswirkungen des Herbizides Glyphosat untersucht werden. Bei der Studie handelt es sich um «Glyphosate’s Suppression of Cytochrome P450 Enzymes and Amino Acid Biosynthesis by the Gut Microbiome: Pathways to Modern Diseases». Schon in der Zusammenfassung ist vollmundig der durch Glyphosat verursachte Krankheitenkatalog auflistet:

Consequences are most of the diseases and conditions associated with a Western diet, which include gastrointestinal disorders, obesity, diabetes, heart disease, depression, autism, infertility, cancer and Alzheimer’s disease.

Bei dieser die Literatur zusammenfassenden Studie fällt auf, dass von den beiden Studienautoren Anthony Samsel und Stephanie Seneff keine(r) Bezug zu Biologie oder verwandten Fächern hat. Seneffs Publikationenliste deutet im Weiteren darauf hin, dass sie sich auf das Erklären moderner Krankheiten durch den Einfluss von «Giften» wie Aluminium spezialisiert hat.

Ein weiterer heikler Aspekt dieser Studie ist die wiederholte Bezugnahme auf die diskreditierte Genmais-Studie von Séralini et al. von 2012, und zwar nicht kritisch-reflektierend, sondern im Sinne einer aussagekräftigen Bestätigung der karzinogenen Wirkung von Glyphosat (Monsantos Herbizid «Roundup» ist der Markenname von Glyphosat).

Sind dies nur einzelne problematische Punkte der Studie, oder widerspiegelt sich in ihnen die grundsätzliche Qualität der Studie? Bequemerweise wurde die Studie schon an mehreren Orten kritisch hinterfragt, so etwa in einiger Ausführlichkeit im Skeptoid-Blog, wo das Urteil klar ausfällt:

The bold conclusions reached by the review are not supported by the evidence. The authors did include many citations, but did not look at followup to many of the citations or willfully ignored them. There are many leaps of correlation to causation that do not fit their own hypothesis, but they force fit them anyway. The connections to a popular topic among pseudoscientists, gut bacteria, are very shaky at best. The review is easily dismissed, and already has been by science writers with expertise and good science sense.

Das grösste Problem ist also, dass Korrelation mit Kausalität verwechselt wird – heute gibt es mehr bestimmter Krankheiten, und heute wird Glyphosat verwendet, also verursacht Letzteres das Erstere. Lässt man sich auf diesen Fehlschluss ein, offenbart sich ein weiterer Verursacher von Autismus, Bio-Nahrungsmittel:

autism organic food

Auch einen Artikel im Blick am Abend wert?

Bei Examiner.com fällt die Kritik ähnlich negativ aus:

And since it is well known that little glyphosate is ever absorbed into the body, but is nearly all eliminated in the urine and feces, almost every one of these hypotheses does not stand up to actual facts.

This paper is not just baloney, it is a whole delicatessen!

Erwähnenswert in der Kritik auf Examiner.com ist die Beobachtung von «Wiesel-Wörtern», mit welchen die pure Spekulation der Studienautoren in den Mantel der Wissenschaftlichkeit gekleidet werden soll:

One can surmise that
Could be a contributing factor
We develop a novel hypothesis
We suspect this has to do with glyphosate’s effect…
We hypothesize that
…and this could be a factor…
…could substantially enhance…
It is plausible that…
Is like synergistic in combination with glyphosate

Ein Kommentar bei Discover kommt zu einem ähnlich drastischen Ergebnis:

The paper is by two authors with dubious credentials and is such a mashup of pseudoscience and gibberish that actual scientists have been unable to make sense of it. As one of them also noted, the paper is published in a “low-tier pay-for-play journal.”

Insgesamt ist die Studie, welche eine offenbar wichtige argumentative Stütze im Buch «Deep Nutrition» darstellt, bestenfalls als schlechte Wissenschaft zu klassifizieren.

Fazit

Der Artikel im Blick am Abend will uns schlechte Wissenschaft schmackhaft machen, aber diese modrige Mahlzeit stinkt schon von Weitem. Für etwas ist der Artikel aber dennoch gut: Eine Runde Quacksalberei-Bingo!

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Ich zähle folgende Treffer:

  • Testimonials: Die Argumentation von Shanahan beruht auf ihren «Erfahrungen».
  • Celebrity Doctor: Shanahan ist eine (aspirierende) Promi-Ärztin.
  • Ancient Wisdom: Die Urvölker machten es richtig.
  • Buy My Book: Das Buch «Deep Nutrition» erklärt den Ursprung einer Vielzahl Krankheiten.
  • Miracle Cure-All: Man braucht nur richtig zu essen, dann ist man immun gegen eine Vielzahl Krankheiten.
  • Natural: Der Ursprung allen Übels sind Eingriffe in natürliche Nahrung.

Sechs Treffer! Das ist eine bemerkenswerte Leistung.

Um auf die weiter oben gestellte Frage zurückzukommen: Eine ernährungswissenschaftlich-medizinische Revolution im Blick am Abend? Nein, nur ganz, ganz schlechter Journalismus.

Dank an Eda Gregr für den Hinweis auf den Blick am Abend-Artikel.

Autor

2 Comments on “Blick am Abend bittet zu Tisch (und speist mit Unappetitlichem ab)”

  1. Werner Vontobel ist offensichtlich „Experte“ für Wirtschaft und Ernährung beim Blick am Abend – seine Artikel sind regelmässig mehr als bedenklich und haarsträubend. Heute 7.7.13 übrigens in der NZZ am Sonntag ein Bericht über den Mann mit dem Röntgenblick, dem sogar ein Mann mit einem Doktortitel zugestanden hat, dass er über die Fähigkeit verfüge und der schon mal in 198 von 200 Fällen die richtige Diagnose gestellt haben soll… Der Artikel ist ohne Kommentar, die Autorin scheint ihm wirklich zu glauben – und das eben nicht im Gratisblatt BamA, sondern in einem Blatt der NZZ…

  2. Pingback: Wurde «Gott» am Computer bewiesen? | Skeptiker Schweiz

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