Die Welt wird besser – dank Wissenschaft

Marko KovicBlog7 Comments

Mit dem Jahr 2015 hat ein Jahr geendet, in welchem es für alle, die sich für Wissenschaft, oder allgemeiner, für vernunftgeleitetes menschliches Handeln begeistern und einsetzen, viel Frust gab. Einer der Gründe für diesen Frust mit dem vergangenen Jahr ist etwa das allzu erfolgreiche Wüten der religiös motivierten Terrorgruppe ISIS, deren Mitglieder offenbar glauben, dass sie durch ihr Tun die Endzeit einläuten1. In demselben Jahr also, in welchem uns in einem Meilenstein der Weltraumforschung wunderschöne Bilder des Zwergplaneten Pluto verzückt haben2, haben Tausende von Menschen im irrationalen Glauben an ein wie auch immer geartetes Paradies andere Menschen, viele davon wehrlose Zivilisten, umgebracht. Solche Widersprüche können Anlass zur pessimistischen Vermutung geben, dass Wissenschaft, Vernunft und kritisches Denken – allesamt zerbrechliche Güter – in Gefahr sind. Oder noch beängstigender: Dass, ganz im Sinne der Maslow’schen Bedürfnishierarchie3, wir uns wieder «bodenständigeren» Problemen widmen müssen – Wissenschaft ist schön und gut, aber die richtig wichtigen Dinge, die finden anderswo und anderswie statt.

Ist eine solche resignierte Haltung angebracht? Lässt man sich von punktuellen Ereignissen leiten, kann vielleicht der Eindruck entstehen, dass dem so ist; Wissenschaft ist eine abstrakte Idee, welche im Alltag recht eigentlich unnütz ist. In Tat und Wahrheit ist aber das Gegenteil der Fall: Wissenschaft als ein Grundpfeiler der Moderne ist ein erkenntnistheoretisches Projekt, welches ganz unmittelbar und greifbar die Welt verbessert. Um sich dies zu vergegenwärtigen, ist es manchmal notwendig, einen Schritt zurückzutreten, um die Dinge aus einer anderen, weniger unmittelbar subjektiven Perspektive zu betrachten.

Ein zu diesem Zweck geeigneter Themenbereich sind Gebrechen. Wir alle kennen leider, oftmals sehr unmittelbar, ganz unterschiedliche Krankheiten. Obschon es uns intuitiv sehr schwer fällt, über grosse Zahlen nachzudenken – wir können nachvollziehen, wie viele Menschen 10 Menschen sind, vielleicht noch, wie viele Menschen 100 Menschen sind; in Millionen und Milliarden zu denken, ist unserer Lebenswelt aber sehr fremd – , ist für uns alle klar, dass es unterschiedliche Krankheiten gibt, die unterschiedlich gefährlich sind. In einer grossangelegten Untersuchung von 20124 wurde dieser für uns alle nachvollziehbare Grundgedanke evidenzbasiert kontextualisiert und konkretisiert: In der Untersuchung wurde festgehalten, welche Ursachen in welchen Weltregionen in welchem Masse für vorzeitige Todesfälle verantwortlich zeichnen.

death causes

Rangliste der Ursachen für verlorene Lebensjahre.

Die Hauptursachen für vorzeitigen Tod sind, je nach Region, sehr unterschiedlich. Bei jenen Krankheiten und sonstigen Ursachen, welche über die gesamte Weltbevölkerung hinweg mit die meisten Todesopfer bedingen, mag allerdings der Eindruck erscheinen, dass sich hier eigentlich seit vielen Jahren nichts getan hat. «Klassiker» wie Krebs, Malaria, AIDS oder auch Verkehrsunfälle gab es irgendwie, so die subjektive Wahrnehmung, schon immer, und schon immer sind darob viele Menschen gestorben. Wenn wir aber einen Schritt zurückgehen und versuchen, die Entwicklung in den letzten Jahren zu beobachten, dann zeigt sich, dass gerade bei diesen hartnäckigen Gebrechen und Todesursachen sehr deutliche Forschritte verbucht werden konnten – dank Wissenschaft.

Krebs

Krebs ist heute in westlichen Ländern vermutlich der Inbegriff unheilbarer Krankheit, und nicht zu Unrecht. So ist Krebs beispielsweise in der Schweiz in etwa die zweithäufigste Todesursache5. Die meisten Menschen kennen denn auch jemanden aus dem unmittelbaren oder erweiterten Umfeld, die oder der an Krebs verstorben ist. Aus dieser subjektiv-anekdotischen Perspektive mag Krebs als ewige Geissel der Menschheit erscheinen, gegen die Wissenschaft nichts ausrichten kann. Dieser Eindruck trügt. So ist, beispielsweise, die Krebsmortalität in den USA, also die relative Anzahl Menschen, welche an Krebs sterben, seit knapp einem Vierteljahrundert rückläufig6.

Krebsmortalität USA

Ein moderater Rückgang der Krebsmortalität ist, für sich genommen, vielleicht noch nicht sehr eindrücklich. Eine andere Kennzahl unterstreicht aber, dass hinter der sinkenden Mortalität ganz direkt auch wissenschaftlicher Fortschritt eine Rolle spielt. Wer heute mit Krebs diagnostiziert wird, hat dank verbesserter Therapiemöglichkeiten die Aussicht auf mehr verbleibende Lebensjahre7.

Krebs Lebensjahre Diagnosezeitraum USA

Wenn es sich bei diesen Zahlen auch um Durchschnittswerte handelt, bei denen alle Krebsarten verrechnet werden, sind sie beeindruckend: Wer in den 1970er Jahren in den USA mit Krebs diagnostiziert wurde, hatte im Schnitt weniger als 50% Wahrscheinlichkeit, 5 Jahre zu leben. Bei einer heutigen Krebsdiagnose in den USA beträgt die Wahrscheinlichkeit, 5 Jahre weiterzuleben, fast 70%.

AIDS

AIDS ist für uns in westlichen Ländern zwar nicht kein Thema mehr, aber dank Aufklärung, Präventionsmöglichkeiten und, bei Infektion mit dem HI-Virus, guter Therapierbarkeit, erachten wir, subjektiv, AIDS nicht mehr als grosses Problem. Dieser Eindruck täutscht enorm, denn besonders auf dem afrikanischen Kontinent wütet die AIDS-Epidemie nach wie vor8.

AIDS gesamt

Der Anstieg an AIDS-Erkrankten hängt auch mit dem Bevölkerungswachstum auf dem afrikanischen Kontinent zusammen. Die Situation mit AIDS ist aber nicht nur negativ: Die absolute Anzahl AIDS-kranker Menschen nimmt zwar seit Jahren, in der Tendenz zu, nicht aber die absolute Anzahl der durch AIDS bedingten Todesfälle.

AIDS Todesfälle

Gerade die Region von Ost- und Südafrika, den grössten AIDS-Brandherden, hat nach der Jahrtausendwende einen bemerkenswerten Turnaround erlebt, mit deutlich sinkenden Todesfällen. Dies nicht zuletzt dank besserer medizinischer Versorgung und Zugang zu anti-retroviralen Medikamenten.

Malaria

In westlichen Ländern geniessen wir das Glück, dass Malaria praktisch inexistent ist. Weltweit aber waren im Jahr 2015 geschätzte 214 Millionen Menschen mit Malaria infiziert; der grösste Teil davon, 188 Millionen, in Afrika9. Wenn auch diese Zahlen entmutigend klingen, ist das Bild ein anderes, wenn die relative Entwicklung der Malaria-Infektionen betrachtet wird, gesondert für Afrika10.

Malaria-Prävalenz Afrika

Die Anzahl Menschen, welche in Afrika mit Malaria angesteckt sind, ist in den letzten 15 Jahren deutlich gesunken, und zwar sowohl dank evidenzbasierter Prävention wie auch verbesserter medizinischer Versorgung. Das hat entsprechend auch dazu geführt, dass die relative Anzahl an Menschen, welche durch Malaria sterben, gesunken ist.

Malaria-Mortalität Afrika

 

Verkehrstote

Mobilität gehört zu unser aller Alltag. Von A über B nach C und wieder zurück zu kommen, ist für uns selbstverständlich. Für den persönlichen Transport genügen einigen Menschen ihre Beine oder ein Velo, ferner auch öffentliche Verkehrsmittel wie Trams oder Züge. Ein ganz zentraler Kanal für unsere Mobilität sind aber nach wie vor von motorisierte Fahrzeugen befahrene Strassen. Es ist eine Binsenweisheit, dass man auf der Strasse aufpassen soll, weil z.B. das Autofahren gefährlich sein kann – gerade Autofahrerinnen und Autofahrer anerkennen impliziterweise dieses Risiko, und zwar als eine Art unveränderbarer Realität des Strassenverkehrs. Dieses Bild täuscht, denn die Verkehrssicherheit hat in westlichen Ländern in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen.

Verkehrstote

Es gibt unterschiedliche Gründe für die Abnahme der Verkehrstoten, aber im Wesentlichen lassen sie sich auf eine evidenzbasierte, wissenschaftliche Erkenntnis zurückführen11: Praktisch alle Unfälle im Strassenverkehr sind Folge menschlichen Versagens, und die Einschränkung der menschlichen Freiheiten im motorisierten Strassenverkehr geht einher mit weniger Toten.

Fazit: Wissenschaft verbessert die Welt – aber nicht ohne unser aller Zutun

Es mag in punktuellen Ereignissen und Erlebnissen nicht immer klar sein, ob Wissenschaft, ob kritisches, vernunftgeleitetes Denken wirklich nützlich ist. Erst, wenn wir einen Schritt zurückgehen und versuchen, Teile der Welt aus einer nicht-subjektiven, nicht-anekdotischen Perspektive zu betrachten, können wir den Einfluss von Wissenschaft als Silhouette nachzeichnen. Als Individuen sind wir darauf geeicht, uns auf Unmittelbares und Kurzfristiges, auf Alltägliches und Greifbares, zu fokussieren. Die Früchte von Wissenschaft zeigen sich aber erst auf einer komplexeren, nicht-unmittelbaren Ebene: Dank Wissenschaft wird die Welt über längere Zeiträume anhaltend und nachhaltig besser. Und wir alle tragen ein Stück weit Verantwortung, um dies möglich zu machen. Unsere kollektiven Einstellungen gegenüber Wissenschaft, die Qualität unserer öffentlichen Debatten rund um Themen, welche Wissenschaft direkt oder indirekt betreffen, unsere direkte oder indirekte politische Entscheidungsfindung zu wissenschaftlichen Themen und zu Wissenschaft an und für sich: All dies sind Faktoren, welche in ihrer Summe den Nährboden bilden, auf welchem Wissenschaft gedeiht. Wissenschaft ist zu wichtig, um sich von ihr abzuwenden.

 

Quellen und Fussnoten

Autor

  1. Wood, G. (2015). What ISIS Really Wants. The Atlantic. Retrieved from http://www.theatlantic.com/magazine/archive/2015/03/what-isis-really-wants/384980/ []
  2. Stern, S. A., Bagenal, F., Ennico, K., Gladstone, G. R., Grundy, W. M., McKinnon, W. B., … Zirnstein, E. (2015). The Pluto system: Initial results from its exploration by New Horizons. Science, 350(6258), aad1815. http://doi.org/10.1126/science.aad1815 []
  3. Maslow, A. H. (1943). A theory of human motivation. Psychological Review, 50(4), 370–396. http://doi.org/10.1037/h0054346 []
  4. Lozano, R., Naghavi, M., Foreman, K., Lim, S., Shibuya, K., Aboyans, V., … Murray, C. J. (2012). Global and regional mortality from 235 causes of death for 20 age groups in 1990 and 2010: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2010. The Lancet, 380(9859), 2095–2128. http://doi.org/10.1016/S0140-6736(12)61728-0 []
  5. Todesfälle: Anzahl, Entwicklung und Ursachen. (2015, October 14). Retrieved from http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/14/02/04/key/01.html#parsys_60885 []
  6. Datenquelle: National Cancer Institute. Surveillance, Epidemiology, and End Results Program. http://seer.cancer.gov/faststats/. []
  7. Datenquelle: National Cancer Institute. Surveillance, Epidemiology, and End Results Program. Cancer Query System: SEER Survival Statistics. http://seer.cancer.gov/canques/survival.html. []
  8. Datenquelle: UNAIDS, the Joint United Nations Programme on HIV/AIDS. http://aidsinfo.unaids.org/. []
  9. World Healt Organization. (2015). World Malaria Report 2015. Geneva, Switzerland. Retrieved from http://www.who.int/malaria/publications/world-malaria-report-2015/report/en/. []
  10. Die WHO-Region Afrika umfasst nicht alle Staaten auf dem afrikanischen Kontinent. Vgl. http://www.who.int/about/regions/en/. []
  11. Vgl. den Blogeintrag «Die fehlgeleitete Furcht vor fahrerlosen Fahrzeugen». http://www.skeptiker.ch/die-fehlgeleitete-furcht-vor-fahrerlosen-fahrzeugen/. []

7 Comments on “Die Welt wird besser – dank Wissenschaft”

  1. Pingback: Ein gutes neues Jahr – und ein Horoskop, auf das man sich verlassen kann @ gwup | die skeptiker

  2. Besten Dank für diese graphischen „Aufheller“. Die Welt wird überhaupt besser. Im aktuellen Amnesty International Magazin ist ein Interview mit dem Evolutionspschologen Steven Pinker zu lesen, ebenfalls mit einigen Graphiken und ebenfalls lesenswert.

  3. „The better Angels of Our Nature“ heisst das Buch von Pinker übrigens… (es gibt es auch auf Deutsch).
    Frank

  4. Vielleicht sollte man erwähnen, dass die Wissenschaft auch eine Menge neuer Probleme schafft. Da fechten Wissenschaftler einen langen Kampf um neue Antibiotika, weil andere Wissenschaftler die bisherigen in der Massentierhaltung bis zur Unbrauchbarkeit einsetzen.

    Oder der oben erwähnte Verkehr: Die vielen Toten gab es dank immer schnelleren Autos. Die sind heute wegen anderer Wissenschaftler wieder sicherer und dank Massenproduktion sehr günstig geworden. Die Folge: Kaum Verkehrstote im Stau, dafür die Klimakatastrophe. Natürlich sehr zugespitzt formuliert.

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