Eine Typologie der Negativkommentare zur Rosetta-Mission

Marko KovicBlog3 Comments

Einleitung

Im November 2014 wurde ein grosses Kapitel in der Geschichte der Raumfahrt geschrieben: Nach über 10 Jahren Reise konnte der Lander Philae der Raumsonde Rosetta am 12. November 2014 erfolgreich auf den Kometen 67P/Churyumov–Gerasimenko abgeworfen werden. Wenn auch die Landung von Philae nicht perfekt geglückt ist1, ist die Rosetta-Mission ein Meilenstein – zum ersten Mal ist die Menschheit erfolgreich auf einem Kometen gelandet.


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Der Komet 67P, aufgenommen von Rosetta am 17. November 2014 (Quelle).

Die Philae-Landung war ein sehr prominentes Thema in den Medien. Viele von ihnen haben auf ihren Online-Portalen die Landung in Echtzeit mitverfolgt und diese Phase der Rosetta-Mission mit umfangreicher Berichterstattung gewürdigt.

Eine Eigenheit von Online-Nachrichtenportalen ist die Möglichkeit, als Leserin oder Leser Kommentare zu hinterlassen. Kommentiert wurde die Philae-Landung rege, und der Grossteil der Kommentare war, wenig überraschend, euphorisch und jubilierend. Ein Teil der Kommentierenden aber sieht in der Rosetta-Mission nur wenig oder nichts Gutes. Was für Kommentar-Gruppen sind unter den kritisierenden Kommentaren vertreten?

Die Datengrundlage für diese kleine Analyse sind die Kommentare zu folgenden Artikeln:

MediumDatumArtikel
20 Minuten12.11.2014http://www.20min.ch/wissen/news/story/12378582
20 Minuten13.11.2014http://www.20min.ch/wissen/news/story/20462815
20 Minuten13.11.2014http://www.20min.ch/wissen/news/story/14595859
20 Minuten17.11.2014http://www.20min.ch/wissen/news/story/29558228
20 Minuten20.11.2014http://www.20min.ch/wissen/news/story/Philae-erschnueffelte-organische-Substanzen-13183320
20 Minuten21.11.2014http://www.20min.ch/wissen/news/story/29406691
Blick12.11.2014http://www.blick.ch/news/ausland/kaum-sonnenlicht-auf-dem-kometen-philae-landete-in-einer-schlucht-id3265739.html
Blick14.11.2014http://www.blick.ch/news/ausland/landung-in-schattiger-schlucht-morgen-geht-philae-der-saft-aus-id3273816.html
Blick15.11.2014http://www.blick.ch/news/ausland/mini-labor-stellt-arbeit-ein-philae-hat-keinen-saft-mehr-id3274324.html
NZZ12.11.2014http://www.nzz.ch/wissenschaft/astronomie-rosetta-philae-1.18422874
NZZ17.11.2014http://www.nzz.ch/wissenschaft/astronomie/astronomie-rosetta-philae-landung-1.18426789
SRF15.11.2014http://www.srf.ch/news/panorama/kometen-labor-philae-im-tiefschlaf
Tages-Anzeiger13.11.2014http://www.tagesanzeiger.ch/wissen/technik/Das-ist-das-erste-Bild-vom-Kometen-Tschury/story/20114756?dossier_id=2890
Tages-Anzeiger17.11.2014http://www.tagesanzeiger.ch/wissen/natur/Die-Bilder-die-wir-gesehen-haben-waren-fantastisch/story/26430335?dossier_id=2890
Watson10.11.2014http://www.watson.ch/!380341417

Es nur nur Artikel bis zum 21. November berücksichtigt, und darüber hinaus nur Artikel, bei denen Negativkommentare überhaupt vorzufinden sind.

Besserwissenschaftler

Eine erste Gruppe der kritischen Stimmen sind die «Besserwissenschaftler» (ein Klick auf das Bild öffnet eine grössere Version):


Besserwissenschaftler

«Besserwissenschaftler» ist ein Kunstwort, das eine Zusammensetzung aus «Besserwisser» und «Wissenschaftler» signalisieren soll. Besserwissenschaftler sind demzufolge Personen, welche in der Rosetta-Mission Mängel verorten, die für sie selbstverständlich und offensichtlich sind. Besserwissenschaftler wähnen sich als Expertinnen und Experten, aber in Tat und Wahrheit legen sie wenig Fachexpertise an den Tag, sondern kommentieren nur vage und wertend.

Hybris

Eine Gruppe der Kommentare lässt sich unter dem Begriff «Hybris» zusammenfassen:


Hybris

Die Hybris-Kommentierenden erheben einen mahnenden Finger und erinnern daran, dass wir Menschen uns viel mehr anmassen, als uns eigentlich zusteht. Mit Projekten wie der Rosetta-Mission greifen wir in die Natur ein und sorgen damit letztlich für unseren eigenen Niedergang.

Nutzlose Geldverschwendung

Einige der Kommentierenden sprechen der Rosetta-Mission einen jeden Nutzen ab:


Nutzlose Geldverschwendung

Die Kritik ist eine Kombination aus Kritik an mangelndem Nutzen und Kritik an den Kosten der Mission: Es werden Ressourcen in etwas investiert, was nichts bringt.

Wichtigere Probleme

Eine Gruppe von Kommentaren verortet ähnliche Probleme wie die «Nutzlose Geldverschwendung»-Gruppe, aber mit der Betonung, dass es andere Dinge gäbe, die wichtiger sind:


Wichtigere Probleme

In der Logik dieser Gruppe befinden wir uns in einer Art Ressourcen-Nullsummenspiel: Es gibt endlich viel Zeit und Geld, und dadurch, dass Zeit und Geld in die Rosetta-Mission investiert werden, fehlt diese Zeit und fehlt dieses Geld, um andere, drängendere Probleme anzugehen. Die Natur dieser wichtigeren Probleme ist nicht ganz klar. Vereinzelt ist die Rede von Krankenkassenprämien, Steuern und 3G-Netzwerkabdeckung. Der grössere Teil der Kommentare bezieht sich aber nicht auf den Wunsch, den eigenen Lebenskomfort zu steigern, sondern auf die Notwendigkeit, Armut, Krieg, Hunger und Krankheit zu bekämpfen.

Verschwörungstheorien

Kritik an der Rosetta-Mission hintefragt nicht nur Sinn und Zweck der Mission. Einige Kommentierende sind der Meinung, dass womöglich gar keine Landung auf dem Kometen stattgefunden hat:


Verschwörungstheorie

Inhaltlich sind die verschwörungstheoretischen Argumente bisweilen besserwissenschaftlich, da angebliche Ungereimtheiten «aufgedeckt» werden. Ein Teil der Kommentare stellt auch einen Bezug zu den Apollo-Missionen der NASA her, die angeblich auch nie stattgefunden haben. Einer dieser Kommentare ist bemerkenswert: Er bejubelt die Rosetta-Mission und kritisiert gleichzeitig die Apollo-Mondlandung(en) als unwahr.

Politische Meinungsmacher

Vereinzelt finden sich Kommentare, die an sich nur wenig mit der Rosetta-Mission zu tun haben:


Politische Meinungsmacher

Die politischen Meinungsmacher kommentieren zur Rosetta-Mission, ohne, dass die Rosetta-Mission wirklich interessiert. Eher geht es darum, vage Bezüge zu vorgefertigten und stammtischtauglichen politischen Meinungen herzustellen.

Fazit: Was nützt Erforschung des Weltraums?

Wie ist der Umstand, dass sich in den Kommentarspalten von Online-Medien auch sehr kritische Stimmen zur Rosetta-Mission äussern, zu deuten?

Die optimistische Lesart ist, dass dadurch ein breites Spektrum an Meinungen eingefangen wird, womit eine Art «Demokratisierung» stattfindet: Wir haben eine Art Einblick in die Meinungen der Leserschaft, die nicht unbedingt mit den Meinungen der Journalistinnen und Journalisten übereinstimmen müssen. Eine weniger optimistische Lesart wäre, dass die Möglichkeit, unmittelbar die eigene Meinung zum Ausdruck zu bringen, zur Illusion verleitet, man habe auch unmittelbar etwas Wohlüberlegtes zu sagen. Oder anders ausgedrückt: Die Kommentarzeilen werden zum virtuellen Stammtisch.

Allzu pessimistisch sollten die Negativkommentare zur Rosetta-Mission nicht gedeutet werden. Gerade die Fragen, wozu solche Forschung gut ist, und, ob es nicht wichtigere Forschung gäbe, sind alles andere als trivial. Was also bringen die Rosetta-Mission und die damit verbundenen Kosten2?

Die Rosetta-Mission verfolgt explizite Forschungsziele: Die Untersuchung von Kometen soll helfen, die Ursprünge unseres Sonnensystems besser zu verstehen3 4. Aber auch, wenn wir unser Sonnensystem besser verstehen: Was bringt das? Die ehrliche Antwort ist: Kurzfristig vermutlich ausser Wissen nichts. Und das ist kein Problem.

Welchen Zweck hat Wissenschaft? Wer beklagt, es gebe «wichtigere» Probleme als die Erforschung von Kometen, sieht Wissenschaft aus einer instrumentellen Perspektive: Wissenschaft muss zweckrational eingesetzt werden, also zur Lösung a priori definierter «Probleme». Dieses Verständnis von Wissenschaft mag gut gemeint sein (wenn etwa gefordert wird, Hunger, Armut und sonstiges «Leid» zu bekämpfen), aber es ist auch mit vielen Problemen behaftet. Wer genau wie definieren darf, welche «Probleme» welche Priorität haben, ist unklar. Auch ist ein rein zweckorientiertes Verständnis von Wissenschaft eines, das die Bedeutung von Grundlagenforschung verkennt. Erst dann, wenn es auch Forschung gibt, welche nicht dem permanenten Druck ausgesetzt ist, unmittelbare «Probleme» lösen zu müssen, entsteht ein Nährboden, auf dem wir Antworten finden auf Fragen, die wir uns noch gar nicht gestellt haben, oder auf «Probleme», die zuvor unlösbar schienen. Dieser zwar nicht zufällige, aber auch nicht komplett gesteuerte Prozess des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns wird bisweilen als «Serendipity» beschrieben5 6 7 8 9 10 11.

Das Konzept von «Serendipity» mag für manche Ohren zu abstrakt klingen. Gerade Weltraumforschung aber hat über die Jahrzehnte viele greifbare, nützliche technologische Innovationen hervorgebracht12 13 14.

Mit Dank an Marc Sele für seine Inputs zu diesem Beitrag.

Quellen

Autor

  1. Die Harpunen, die Philae hätten sichern sollen, haben nicht gefeuert, und Philae ist nach der Landung für längere Zeit über den Kometen getrieben. Vgl. http://blogs.esa.int/rosetta/2014/11/17/osiris-spots-philae-drifting-across-the-comet/ und http://www.universetoday.com/116658/where-the-heck-did-philae-land-rosetta-team-narrows-the-cometary-search/. []
  2. 1.4 Mia. Euro für den Zeitraum von 1996 bis 2015. Quelle: http://www.esa.int/Our_Activities/Space_Science/Rosetta/Frequently_asked_questions []
  3. http://sci.esa.int/rosetta/47366-fact-sheet/ []
  4. http://rosetta.jpl.nasa.gov/science/misson-science-goals []
  5. Bosenman, M. F. (1988). Serendipity and Scientific Discovery. The Journal of Creative Behavior, 22(2), 132–138. doi:10.1002/j.2162-6057.1988.tb00674.x []
  6. Kantorovich, A., & Ne’eman, Y. (1989). Serendipity as a source of evolutionary progress in science. Studies in History and Philosophy of Science Part A, 20(4), 505–529. doi:10.1016/0039-3681(89)90021-6 []
  7. Kipnis, N. (2005). Chance in Science: The Discovery of Electromagnetism by H.C. Oersted. Science & Education, 14(1), 1–28. doi:10.1007/s11191-004-3286-0 []
  8. Meyers, M. A. (1995). Glen W. Hartman Lecture. Science, creativity, and serendipity. American Journal of Roentgenology, 165(4), 755–764. doi:10.2214/ajr.165.4.7676963 []
  9. Meyers, M. A. (2007). Happy Accidents: Serendipity in Modern Medical Breakthroughs. New York: Arcade Publishing. []
  10. Pepys, M. B. (2007). Science and serendipity. Clinical Medicine, 7(6), 562–578. doi:10.7861/clinmedicine.7-6-562 []
  11. Roberts, R. M. (1989). Serendipity: Accidental Discoveries in Science. New York: Wiley. []
  12. http://www.nasa.gov/topics/technology/index.html#.VHXShsnUSDo []
  13. http://spacecoalition.com/benefits-of-space []
  14. NASA-Dokument «Benefits Stemming from Space Exploration». Quelle: http://www.nasa.gov/sites/default/files/files/Benefits-Stemming-from-Space-Exploration-2013-TAGGED.pdf. []

3 Comments on “Eine Typologie der Negativkommentare zur Rosetta-Mission”

  1. Pingback: Mehr Mut, bitte! Dieses Geklöne ist nicht auszuhalten • multimedial

  2. Interessante Analyse. Es fällt aber (zum Glück) auf, dass es eine Diskrepanz zwischen den hier vorgestellten Kommentarschreibern und den nur Up- oder Down-votenden Lesern gibt. Die meisten negativen Kommentare in dieser Analyse von 20 Minuten und Blick haben mehr Down- als Up-Votes. Sollte die NZZ auch einführen.

  3. Forschung schaft Wissen. Wissen schaft Macht. Ethik und Moral ist Gift für die Macht, denn Ethik und Moral (Transparenz, Toleranz, Altruismus, Nachhaltigkeit, Chancengleichheit) rentieren nicht. Ethische Forschung wird deshalb kaum (eher NICHT) unterstützt. Forschung spielt immer der unkontrollierbaren Macht in die Finger. Fazit. Es wäre besser wir würden bescheiden und nachhaltig unsere Aecker bestellen, als für die egoistische Macht nach den Sternen zu greifen. Dass Sterntanzen (Luegen, Betruegen, Manipulieren) Millionen und Milliarden bringt, ehrliche hart Arbeit aber nicht mehr zum Ueberleben reicht, ist ein Produkt der Neuen Schönen Welt.
    Der Verstand ist eine heimtückische Schlange und die Skepsis ein besonders fettes Stück davon!
    Die wahre Forschung kann völlig gratis und ohne Kollateralschaden im Inneren eine jeden Menschen passieren. Leider werden wir durch den rationalen PSEUDOWISSENSCHAFFTLICHEN Klamauk davon abgelenkt.
    Wahres Wissen kann man nicht berechnen, nicht beschreiben das muss man still erleben.
    Der Tod und das Alter (Krankheiten) sind die grössten Aengstfaktoren der Menschen. Keine Wissenschaft vermag dem Menschen diese Last abzunehmen. Die Wissenschaft macht einen sehr kostspieligen, blinden Tanz um die Urfragen der Menschheit. Sie gaukelt PSEUDOSICHERHEIT vor. Z.B der Onkologe tut so als ob er, wenn er den Krebs besiegt hätte, er den Tod damit auch ausgeschlossen hätte. Er legitimiert 100`000 von sfr Jahrestherapie, obwohl er das Problem (Alter und Tod) nicht gelöst hat!
    Der denkende Mensch sollte, statt sich (und seine „Errungenschafften“) andauernd pompös zu feiern (anzulügen), sich auf den wahren Sinn des Lebens konzentrieren.
    WAS IST MEINE AUFGABE, WAS IN MEINER VERANTWORTUNG, WAS RICHTE ICH MIT MEINEM TUN AN, WAS FUEGE ICH ANDEREN ZU; WIE SIEHT DIE WELT NACH MIR (KINDER) AUS. ETC ETC ETC…
    ES IST BESSER DEMÜTIG EINEM KOMETEN ZU FOLGEN, ALS DAS ALLFRESSEND AUF DEN KOMETEN ZU FLIEGEN UND IHN MYTHISCH ZU ZERSTÖREN.

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