Schweizer Wahlen 2015: Wie die Parteien zu Wissenschaft stehen

Marko KovicBlog2 Comments

Am Sonntag, dem 18. Oktober 2015, finden in der Schweiz die Wahlen des National- und Ständerates statt. Der Wahlkampf ist bereits geführt, und die meisten Wählerinnen und Wähler haben ihre Entscheidung bereits getroffen. Als Wahlhilfe kommt der vorliegende Beitrag zwar definitiv zu spät, aber dennoch lohnt sich ein Blick in einen kleinen Datenschatz: Die Akademien der Wissenschaften Schweiz hat in Zusammenarbeit mit der Online-Wahlhilfe smartvote Daten von 2793 Kandidierenden erfasst, mit dem Ziel, die Haltung der Kandidierenden zu wissenschaftsnahen Themen herauszufinden1. Von den insgesamt 2793 erfassten Kandidierenden haben deren 2276 an der smartvote-Befragung teilgenommen, was eine beträchtliche Datenmenge bedeutet. Allerdings handelt es sich nicht um eine Totalerhebung, sodass das Bild, welches die vorhandenen Daten zeichnen, möglicherweise leicht verzerrt ist. Im Nachfolgenden sind die Haltungen der Kandidierenden zu einigen der Fragen als Grafiken zusammengefasst: diese Grafiken zeichnen sicher kein abschliessendes und umfassendes Bild der Haltung der Parteien zu Wissenschaft, aber doch eine nicht ganz irrelevante Silhouette.

Die nachfolgenden Darstellungen sind sogenannte «Boxplots», mit denen sich eine Reihe von Informationen kompakt darstellen lässt. Der Diamant ist der Durchschnittswert, die fette senkrechte Linie der Median der Antworten. Der Median ist der Wert, welcher alle vorhandenen Werte im Datensatz in eine höhere und eine tiefere Hälfte teilt. Die «Box», also der Kasten, ist der Interquartilsabstand (IQR). Der IQR gibt an, in welchem Bereich die Werte über den 25% der tiefsten und unter 75% der höchsten Werte im Datensatz liegen. Die «Whiskers», die dünnen waagerechten Linien, geben (vielleicht leicht verwirrend) den höchsten (bzw. tiefsten) Wert an, welcher maximal 1.5 Mal die Distanz des IQR vom IQR entfernt ist. Die Punkte zuletzt geben Ausreisser an.

Ausgaben für Bildung und Forschung

Eine erste Frage mit mehr oder weniger direktem Bezug zu Wissenschaft ist die Frage, ob der Bund2 mehr, gleich viel, oder weniger Geld für Bildung und Forschung ausgeben soll. Die Kandidierenden der unterschiedlichen Parteien haben dazu folgende Meinung:

Ausgaben Bildung und Forschung

Im Schnitt ist keine Partei deutlich dafür, dass der Bund weniger Geld für Bildung und Forschung ausgeben soll. Die Kandidierenden der SVP stehen am deutlichsten in der Mitte mit der Position, dass die Ausgaben gleich hoch wie bisher bleiben sollen. Die Kandidierenden aller anderen Parteien neigen im Schnitt zu leicht höheren Ausgaben, die SP und die Grünen zu am deutlichsten mehr Ausgaben. Bei dieser Frage ist vielleicht zu bemerken, dass ein Befürworten von mehr Ausgaben für Bildung und Forschung nicht ganz automatisch mit einer wissenschaftsreundlicheren Haltung gleichzusetzen ist. Hier wäre es im Grunde nötig, der Frage vertieft nachzugehen: Warum haben die Kandidierenden die Meinung, die sie haben? Falls die Kandidierenden für mehr Ausgaben bei Wissenschaft sind: In welchen wissenschaftlichen Disziplinen und zu welchen konkreten Zwecken soll mehr investiert werden?

Komplementär- und Alternativmedizin in der obligatorischen Krankenkasse

Eine Frage betrifft ganz direkt einen wissenschaftlich relevanten und aus skeptischer Sicht problematischen Bereich an: Die Vergütung sogenannter komplementär- und alternativmedizinischer (sprich: in der Regel nicht-evidenzbasierter) diagnostischer und therapeutischer Massnahmen durch die obligatorische Grundversicherung. Bei dieser Frage sind die Kandidierenden der unterschiedlichen Parteien gespalten:

CAM

Am deutlichsten sind die Grünen und die SP dafür, dass die obligatorische Krankenkasse auch in Zukunft komplementär- und alternativmedizinische Angebote abdeckt. Die einzigen Parteien, welche eher dagegen sind, sind die SVP und die FDP; die FDP hat dabei die klarer ablehnende Haltung.

Impfpflicht für Kinder

In der vorherigen Frage zur Krankenkassenvergütung komplementär- und alternativmedizinischer Verfahren hat sich gezeigt, dass die Grünen und die SP deutlich am stärksten für das Beibehalten dieser Praxis sind. Gegeben dieses Umstands mag die Situation bei der Frage, ob die Kandidierenden eine Impfpflicht für Kinder befürworten, ein Stück weit überraschen:

Impfpflicht

Neben der BDP befürwortet die SP verhältnismässig am stärksten eine Impfpflicht für Kinder, gefolgt von der CVP. Generell ist Impfpflicht aber nicht sehr mehrheitstauglich. Gerade die Kandidierenden der als freiheitsliebend geltenden FDP sind, wenig überraschend, recht deutlich gegen obligatorische Impfungen bei Kindern. Die Position der Kandidierenden BDP allerdings ist leicht überraschend: Warum die Kandidierenden der BDP am meisten Sympathien für Impfpflicht haben, ist nicht ohne Weiteres klar.

Gentech-Moratorium

Ein in der Schweiz brisantes wissenschaftliches Thema wurde auch abgefragt: Die Haltung der Kandidierenden zum Moratorium auf gentechnisch veränderte Organismen, welches in der Schweiz seit 2005 in Kraft ist. Hier zeigt sich ein deutliches Bild:

Gentech-Moratorium

Einzig die Kandidierenden der FDP vertreten klar eher die Haltung, das Gentech-Moratorium solle nach 2017 nicht verlängert werden. Den Kandidierenden der FDP sind in dieser Frage jene der SVP am nähesten, wobei sie im Schnitt aber bereits eine eher befürwortende Haltung haben. Am deutlichsten für eine Verlängerung des Moratoriums sind die Kandidierenden der SP und der Grünen.

Wirtschaftlicher Nutzen von Forschungsprojekten

Eine letzte Frage mit einigermassen direktem Bezug zu Wissenschaft ist die Frage, ob bei der Vergabe von Fördergeldern der wirtschaftliche Nutzen der Projekte eine stärkere Rolle spielen soll. Diese Frage spaltet die Gemüter:

Wirtschaftlicher Nutzen

Am deutlichsten sind die Kandidierenden der SVP, gefolgt von den Kandidierenden der BDP, der Ansicht, dass der wirtschaftliche Nutzen von Forschungsprojekten bei der Vergabe von Fördergeldern stärker gewichtet werden soll. Am deutlichsten gegen eine solche Gewichtung sind die Kandidierenden der Grünen und der SP. Die Kandidierenden der glp und der CVP tendieren im Schnitt leicht für eine solche Gewichtung. Die Kandidierenden der FDP sind sich in dieser Frage am stärksten uneins, da die Meinungen sehr stark gestreut sind.

Quellen und Fussnoten

Autor

  1. ScienceDebate Schweiz: http://akademien-schweiz.ch/index/Aktuell/ScienceDebate.html []
  2. Die Schweiz ist ausgesprochen stark föderalistisch strukturiert, nach den politischen Geltungsbereichen der Gemeinde (lokal), des Kantons (Region) und des Bundes (national). []

2 Comments on “Schweizer Wahlen 2015: Wie die Parteien zu Wissenschaft stehen”

  1. Interessante zusammenstellung, vielen Dank dafür. Es bestätigt recht gut meine Erkenntnis, dass es praktisch keine Partei gibt, die in allen wichtigen Belangen meine Meinungen und Ansichten vollständig widerspiegelt, auch wenn es natürlich einen Trend gibt. Vielleicht ist das auch gar nicht möglich. Ich habe mich dieses Jahr deshalb zum ersten Mal mehr auf Kandidaten als auf Parteien konzentriert. Gibt zwar deutlich mehr Arbeit, aber dafür auch das gute Gefühl, sich etwas die Rosinen herausgepickt zu haben 🙂

    Zitat:
    „Gegeben dieses Umstands mag die Situation bei der Frage, ob die Kandidierenden eine Impfpflicht für Kinder befürworten, ein Stück weit:“

    Kann es sein, dass in diesem Satz ein Wort? 😉

    1. Salut Dominik

      Merci für den Hinweis! In der Tat hat ein Wort gefehlt; ich war überrascht, zu sehen, dass „überraschen“ nicht im Satz ist :).

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