Skeptische Randnotiz: Die schlimmste Grafik aller Zeiten

Marko KovicBlog2 Comments

Die Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens hat am 1. Juli über «Phantom-Stau» bei der Gotthardröhre berichtet1. Das Problem mit Stau bei der Gotthardröhre ist, so die Sendung, dass das Bundesamt für Strassen ASTRA oft Staumeldungen herausgebe, obwohl in Tat und Wahrheit kein wirklicher Stau vorhanden sei.

Im Laufe des Beitrages wird eine Grafik gezeigt, welche zusammenfassen soll, wie sich die Anzahl Stau-Stunden, die Anzahl Kürzest-Staus und das Verkehsvolumen generell am Gotthard verändert haben:

Rundschau - schlimmste Grafik aller Zeiten

Das ist die schlimmste Grafik aller Zeiten. Oder zumindest eine aussichtsreiche Kandidatin für diesen Titel. Warum?

  1. Minimalismus in Datenvisualisierungen ist nicht verkehrt und im Grunde sogar erwünscht2: Grafiken sollen in der Gestaltung nur so komplex sein, wie es nötig ist, um die Information vollständig zu vermitteln. Die Rundschau-Grafik ist aber zu minimalistisch: Sie hat keine Y-Achse. Ohne Y-Achse sind die Linien in der Grafik grundsätzlich nicht verständlich. U.a., weil wir nicht wissen, welche Einheit auf der Y-Achse dargestellt wird und, wo der 0-Punkt liegt.
  2. Die Grafik zeigt offenbar drei unterschiedliche Variablen auf einmal. Stau-Stunden, die Kürzest-Staus und das Verkehrsvolumen. Eine solche Darstellung macht nur Sinn, wenn alle drei Grössen dieselbe Messeinheit haben. Das ist grundsätzlich möglich mit drei Zählvariablen: Anzahl Stau-Stunden, Anzahl Kürzest-Staus und Anzahl Fahrzeuge. Damit die Grafik aber so, wie sie steht, Sinn machen kann, müssten folgende Bedingungen erfüllt sein:
    1. Die Y-Achse ist logarithmiert oder sonstwie ähnlich transformiert. Für die grüne Linie ist eine Steigung von 4 auf 195 eingezeichnet. Die rote Linie mit der Anzahl Stau-Stunden kann nur Sinn machen, wenn die Y-Achse transformiert ist. Wenn das nicht der Fall ist, wäre der Startpunkt für die rote Linie irgendwo zwischen 5 und 10. Dann könnte aber die Position des Punktes 195 nicht mehr korrekt sein: Wenn der rote Startpunkt zwischen 5 und 10 liegt, macht es keinen Sinn, dass er ähnlich weit entfernt von 4 wie auch von 195 ist:
      Rundschau - schlimmste Grafik aller Zeiten - schwarze Linien
    2. Das Verkehrsvolumen als Anzahl Fahrzeuge muss als Ausgangswert transformierte Werte haben, z.B. 100’00 Fahrzeuge anstatt einzelne Fahrzeuge.
  3. Wie wahrscheinlich ist es, dass die Grafik mit einer solchen eher komplizierten Y-Achse arbeitet? Nicht übertrieben wahrscheinlich. Wahrscheinlicher scheint es, dass es sich schlicht um drei Linien handelt, welche unterschiedliche Grössen und / oder unterschiedliche Y-Achsen verwenden, also im Grunde um drei komplett verschiedene Grafiken. Die drei Linien wurden anschliessend einfach übereinander gelegt, und zwar so, dass die Steigungen der Linien beibehalten werden. Das macht aber keinen Sinn, weil die Linien in der Grafik so keinen Bezug zueinander haben.
  4. Drei weitere, generelle Kritikpunkte:
    1. Einmal ist die Linie mit der Differenz in absoluten Werten beschriftet, einmal mit der relativen Differenz in Prozent, einmal sind einfach die absoluten Werte angeschrieben. Auch, wenn die Grafik grundsätzlich keinen Sinn macht, ist es unklar, warum nicht einfach alle Linien in derselben Art und Weise beschriftet sind. Bei den Kürzest-Staus etwa hätte dies schön aufmerksamkeitserregend in der Beschriftung «+ 4875% Kürzest-Staus» gemündet.
    2. Die Grafik zeigt lediglich zwei Datenpunkte an, einen für 2012 und einen für 2014. Die Grafik suggeriert aber mehr Daten, denn die langen Linien erwecken den Eindruck, es handle sich hier um einen linearen Anstieg in einer Zeitreihe. Es wäre angebracht, die Datenpunkte klar zu markieren.
    3. Die Linien sind dreidimensional. Dreidimensionale Verzierungen in zweidimensionalen Grafiken sind immer nur Ballast und liefern nie einen Informationsmehrwert.

Visualisierungen von Daten werden bisweilen bewusst manipulativ eingesetzt, um die Daten suggestiv in die gewünschte Richtung verzerrt darzustellen3. In diesem Fall geht es wohl nicht primär darum, das Publikum zu täuschen. Eher dürfte es sich um einen Fall recht missglückter Datenvisualisierung handeln. Vielleicht wollten die Verantwortlichen einfach noch schnell etwas zusammenschustern, bevor sie in die Ferien gefahren sind.

Quellen

Autor

  1. http://www.srf.ch/sendungen/rundschau/zweite-gotthardroehre-ulrich-giezendanner-eritrea-emin-huseynov []
  2. Tufte, E. R. (2001). The Visual Display of Quantitative Information (2nd edition). Cheshire, Connecticut: Graphics Press. []
  3. Huff, D. (1993). How to Lie with Statistics (Reissue edition). New York: W. W. Norton & Company. []

2 Comments on “Skeptische Randnotiz: Die schlimmste Grafik aller Zeiten”

  1. Ich hatte mich in der Tat auch gefragt, warum die nicht bei allen Kurven Prozente verwendeten. Das hätte deren Absicht noch viel dramatischer präsentiert. Aber die hohe Zahl bei den Kurzstaus hat wohl auch SRF erschreckt. 🙂

  2. Tja, das kommt von den vielen Phil-1-ern, die bei den Medien angestellt werden… 😉 Ich staune schon, dass die sich im geforderten 1000er-Raum fehlerlos bewegen konnten! 😛

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