«Telepathie» Im Tages-Anzeiger: Warum Journalisten die Studien, über die sie berichten, auch lesen sollten.

Marko KovicBlog, Skeptiker-Blog2 Comments

Am 6. September hat der Tages-Anzeiger in einem kleinen Artikel über ein scheinbar bahnbrechendes Forschungsergebnis berichtet1 – Forschern soll ein «Telepathie-Experiment» gelungen sein:

Unbenannt

Mindestens zwei Dinge fallen noch vor der Lektüre des eigentlichen Artikels auf. Zum einen ist rechts ein «Artikel zum Thema» angegeben, wo es um Tiertelepathie2, genauer um Telepathie zwischen Mensch und Katze, geht. Aber gut, solche themenverwandten Artikel werden bisweilen automatisch verlinkt und nicht bewusst gesetzt.

Zum anderen hat das Bild im Artikel nichts mit der Studie zu tun, über die berichtet wird. Auch hier muss aber fairerweise festgehalten werden, dass viele journalistische Texte mit Symbolbildern auskommen.

Was hat es nun mit der eigentlich interessierenden Studie auf sich? Sind der aufsehenerregende Titel und die Einleitung beim Artikel des Tages-Anzeigers gerechtfertigt und damit Telepathie wissenschaftlich bestätigt?

Was ist «Telepathie»?

Der Artikel des Tages-Anzeigers behauptet ausdrücklich, dass die behandelte Studie Telepathie erfolgreich durchgeführt hat. Es lohnt sich darum, kurz festzuhalten, was mit «Telepathie» im Allgemeinen gemeint ist, um beurteilen zu können, ob das, worüber der Tages-Anzeiger schreibt, wirklich als «Telepathie» angesehen werden kann.

In unserem alltäglichen Verständnis, basierend insbesondere auf fiktionalen Geschichten (Büchern, Filmen, Comics usf.), bedeutet Telepathie so viel wie Gedankenübertragung von Menschen auf andere Menschen. Obschon Telepathie in modernen popkulturellen Inhalten anzutreffen ist, ist das Konzept der Telepathie älter. Zudem wurde Telepathie zu Beginn nicht als fiktional-unterhaltende, sondern als (quasi-)wissenschaftlich-reale Idee gedacht.

Der Begriff «Telepathie» wurde, so die geschichtliche Aufarbeitung stimmt, 1882 von dem Briten Frederic Myers ersonnen3. Die «klassische» Definition nach Myers, etwa in «Phantasms of the Living»4, ist auch heute noch treffend für das, was mit Telepathie im Allgemeinen gemeint ist (S. 6; kursiv im Original):

[…] the ability of one mind to impress or to be impressed by another mind otherwise than through the recognised channels of sense. We call the owner of the impressing mind the agent, and the owner of the impressed mind the percipient; and we describe the fact of impression shortly by the term telepathy.

Telepathie bedeutet nach dieser Definition, dass mindestens zwei Menschen miteinander direkt kommunizieren. Diese Kommunikation findet nicht über reguläre Kanäle der Sinneswahrnehmung statt, sondern über einen unbekannten Weg des direkten Austausches von Informationen, und zwar ohne physischen Kontakt.

Die Studie – und, was davon im Tages-Anzeiger übrig bleibt

Die Studie, deren Ergebnisse der Tages-Anzeiger bespricht, wurde vor Kurzem, im August 2014, veröffentlicht5. Gibt der Artikel korrekt wieder, was die Studie behauptet? Obschon der Artikel im Tages-Anzeiger verhältnismässig kurz ist (er ist eine leicht überarbeitete Nachrichtenagentur-Meldung), gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem, was der Tages-Anzeiger über Studie behauptet, und dem, was in der Studie selber effektiv durchgeführt wurde. Zur Übersicht eine tabellarische Zusammenfassung der wichtigsten Punkte:

Tages-AnzeigerStudie
Die Studie dreht sich um Telepathie.Die Studie untersucht, ob und wie Hirnsignale elektronisch aufgezeichnet werden können, um sie anderen Personen als Stimuli zuzuführen. Es geht also um einen ganz expliziten Kanal des Informationsaustausches (Messung - Übertragung - Stimulus) mit umfangreich beschriebenen Werkzeugen.
Ein Proband denkt an bestimmte Worte, und die Gehirnströme beim Denken der Worte werden an die anderen Probanden übermittelt.Der Proband denkt nicht einfach an ein Wort. Das Wort wird zunächst in Binärcode umgewandelt (vor dem Experiment). Der Proband denkt dann der Reihe nach alle Einsen und Nullen dieses Binärcodes. Dieses Denken des Codes findet so statt, dass für eine Null an das Bewegen der eigenen Füsse gedacht wird, und für eine Eins an das Bewegen der eigenen Hände. Das Denken an diese zwei unterschiedliche Bewegungen hat zwei unterschiedliche Muster von Gehirnströmen zur Folge.
Die Probanden, welche die Codes als induzierte Hirnstimuli erhielten, haben die Nachricht verstanden.Die Probanden, welche die Codes als induzierte Hirnstimuli erhielten, haben die Nachricht nicht verstanden. Sie haben lediglich ein Muster von Lichtblitzen in ihrem peripheren Sichtfeld gesehen. Dieses wahrgenommene Muster von Lichtblitzen entsprach (mit geringen Abweichungen) den Codes für Null und Eins, wie sie von den usprünglichen Probanden codiert wurden.

Der Artikel im Tages-Anzeiger stellt wesentliche Aspekte der Studie nicht sauber dar und vermittelt so ein falsches Bild. Nach der Lektüre des Artikel könnte man meinen, es hätten Menschen direkt digitalisierte Hirnströme ausgetauscht und sich verstanden. Das ist aber nicht der Fall.

Dass überhaupt die Rede von Telepathie ist, ist aber nicht allein Schuld des Tages-Anzeigers: Einer der involvierten Forscher spricht in seinen Zitaten selber von Telepathie.

Fazit: Studien-PR gepaart mit unkritischem Journalismus

Es mag übertrieben wirken, sich über einen kleinen, reisserischen Artikel zu echauffieren, dessen Grundlage eine Nachrichtenagentur-Meldung ist. Das Problem ist letztlich denn auch nicht der Artikel selber, sondern die Umstände, welche zu dessen Veröffentlichung geführt haben.

  • Zunächst wäre da die Forschungsgruppe selber, welche ein interessantes, aber unspektakuläres Experiment (nichts, was durchgeführt wurde, ist für sich genommen neu oder unerwartet) geschickt massenmedial platziert hat. Über eine Nachrichtenagentur mit Reizworten wie Telepathie zu arbeiten, sagt nichts über die wissenschaftliche Güte des Experimentes aus, aber es stellt etwas her, wonach Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lechzen – öffentliche Aufmerksamkeit.
  • Auf der anderen Seite stehen die Medien, in diesem Fall der Tages-Anzeiger, wo Studien-PR unkritisch und unreflektiert übernommen wird. Wenn Wissenschaftsberichterstattung schon auf die Formel «Eine neue Studie zeigt, dass…» reduziert wird, ist die minimale Erwartung, dass diese eine Studie dann auch durchgelesen wird. Besonders in dem hier thematisierten Fall steht einer Einsicht in die Studie nichts im Wege: Die Studie ist auf einer Open Access-Plattform veröffentlicht, was bedeutet, dass sie kostenlos und von überall für alle verfügbar ist.

Wir alle sind auf die «Übersetzungsleistung» der Medien angewiesen. Wissenschaftliche Forschung ist enorm vielfältig und komplex, und Medien machen diese Vielfalt und Komplexität fassbar. Eine Übersetzung nützt aber recht wenig, wenn dabei nur Kauderwelsch herauskommt.

Quellen

Autor

  1. «Forschern gelingt Telepathie-Experiment», Link. []
  2. «Mit Telepathie in die Katzenseele», Link. []
  3. Luckhurst, Roger. 2002. The Invention of Telepathy. Oxford; New York: Oxford University Press. []
  4. Gurney, Edmund, Frederic William Henry Myers, Frank Podmore, and Society for Psychical Research (Great Britain). 1886. Phantasms of the Living. London: Rooms of the Society for psychical research. []
  5. Grau, Carles et al. 2014. “Conscious Brain-to-Brain Communication in Humans Using Non-Invasive Technologies.” PLoS ONE 9(8): e105225. Link []

2 Comments on “«Telepathie» Im Tages-Anzeiger: Warum Journalisten die Studien, über die sie berichten, auch lesen sollten.”

  1. Gutes und anschauliches Beispiel, welches aufzeigt, wie häufig auch gemeinhin als einigermassen seriös eingestufte Medien bereit sind, für effekthascherische Lückenfüllerartikel journalistische Sorgfaltskriterien über Bord zu werfen.

  2. Hier herrscht offensichtlich noch die irrige Meinung, Journalisten würden recherchieren. Das war wohl früher so.
    In einer Zeit jedoch, wo Zeitungen und Zeitschriften gigantische Auflagen-Einbussen haben und Artikel im Internet gratis erwartet werden, ist dazu weder Zeit noch Personal vorhanden.
    Journalisten werden durch billige Jungs ersetzt, die einfach die Blätter füllen. Meist mit Agentur-Material und Leser-Reporter.
    Ich habe einige Zeit in so einem Konstrukt als „Bullshit Detector“ gewirkt.
    Das gab jedoch solchen Frust bei den Redaktionen, dass man schliesslich auf mich verzichten musste. Ich habe diverse Meldungen als völlig erfunden und viele als mehr oder weniger stark verdreht „entzaubert“.
    Der Verlagsleiter meinte, einerseits seien die jetzigen Journalisten gefrustet und Leser würden reklamieren, wenn gewisse Meldungen (die falsch waren) nicht in ihrem Blatt erschienen. Andererseits hätten kaum eine Handvoll Abonenten gekündigt wegen diverser Falschmeldungen, als ich noch nicht involviert war.
    Fazit: Es sei besser, problemlos Meldungen zu drucken, als diese zu prüfen und Fehler zu korrigieren. Besser für die Redaktionen und nicht schlechter für die Abonnenten….

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