Woher kommen eigentlich «Studien»?

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Woher kommen eigentlich «Studien»?

Eine fast schon kindische Frage: Wir wissen alle, dass Studien das Produkt von Wissenschaft sind. Es wird geforscht, und die Ergebnisse werden in Form von Studien veröffentlicht. So weit, so banal.

Wie aber sieht dieser Prozess konkret aus? Forschung bedeutet, in irgendeiner Art Informationen zu sammeln, zu bearbeiten, zu interpretieren. Der Schritt, aus diesem Forschungsprozess etwas, was sich als «Studie» beschreiben lässt, herauszukondensieren, ist eine nicht zu unterschätzende kommunikative Leistung. Daten und Informationen werden dann zu «Studien», wenn sie als solche kommuniziert werden («Studien» sind also eine Art performativer Sprechleistung).

Wenn wir kommunizieren, kommunizieren wir über unterschiedliche mediale Kanäle. Auch dieser Blogeintrag stellt einen solchen Kanal dar; der im Alltag wohl immer noch am häufigsten genutzte Kanal ist verbale Kommunikation. Wissenschaftliche «Studien» werden meistens in Form schriftlichen Textes kommuniziert, und zwar über bestimmte Kanäle mit bestimmten Eigenschaften. Einer der wichtigsten diser Kanäle sind wissenschaftliche Fachzeitschriften.

In diesem Blogeintrag sollen Fachzeitschriften als Kanäle der wissenschaftlichen «Studien»-Kommunikation etwas ausgeleuchtet werden – und die damit verbundenen möglichen Probleme.

Wie kategorisieren? «Peer Review» und Zugangsmodalitäten

Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung können über eine Vielzahl von Kanälen transportiert und kommuniziert werden, angefangen bei Mund-zu-Mund-Kommunikation. In diesem Blogeintrag interessiert nur ein Teil dieses möglichen Spektrums, und zwar jener in Form geschriebenen Textes, welcher als eigenständiges Dokument angedacht ist.

Eine generelle Taxonomie wissenschaftlicher Texte gibt es möglicherweise, aber ich unterscheide nicht nach literarischen Textsorten, sondern lediglich nach zwei Dimensionen ohne direkten Bezug zu den Textinhalten:

  • Zugangsmodalitäten
  • Grad des «Peer Review»

Mit Zugangsmodalitäten ist der Umstand gemeint, dass wissenschaftliche Texte nicht immer bzw. nicht immer auf dieselbe Art verfügbar sind. Hierbei interessiert die Perspektive einer breiteren Öffentlichkeit und nicht jene des wissenschaftlichen Personals (Letztere geniessen einen grundsätzlich privilegierten Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und entsprechend sind für sie viel mehr Dinge verfügbar als für Leute abseits des Hochschulbetriebes.). Vereinfachend unterscheide ich nach nur drei Kategorien: Nicht-öffentlich, öffentlich verfügbar gegen Bezahlung, öffentlich verfügbar ohne Bezahlung.

Der Grad des «Peer Review» soll dem Umstand Rechnung tragen, dass Peer Review der Königsweg des wissenschaftlichen Diskurses ist: Wissenschaftliche Erkenntnis entsteht erst dann, wenn Forschung einer permanenten gegenseitigen kritischen Prüfung unterzogen wird. Nicht alle wissenschaftlichen Publikationen weisen ein in gleichem Masse ausgeprägtes Peer Review auf, und deswegen unterscheide ich die Kategorien des formellen, informellen und nicht-existenten Peer Reviews.

In der Tabelle sind die Dimensionen Zugangsmodalitäten und Grad des «Peer Review» zusammengefasst:

Nicht-öffentlichÖffentlich gegen BezahlungÖffentlich, frei
Kein Peer Review011
Informeller Peer Review022
Formeller Peer Review033

Die Zahlen 0 bis 3 beschreiben vier mögliche Gruppen wissenschaftlicher Texte. Woduch unterscheiden sich diese Gruppen voneinenander?

  • Die Gruppe 0 zeichnet sich dadurch aus, dass die Texte grundsätzlich nicht-öffentlich sind. Solche Literatur kann in engerem Sinne nicht als wissenschaftliche Literatur gelten, weil Wissenschaft ohne Öffentlichkeit nicht funktioniert. Argumente einem kritischen Diskurs auszusetzen, ist eine notwendige Bedingung für und die Essenz von Wissenschaft.
  • Gruppe 1 umfasst wissenschaftliche Texte, welche im Laufe ihrer Entstehung keinen Peer Review-Prozess durchmachen. In diese Gruppe fällt ein beträchtlicher Teil wissenschaftlicher Literatur, typischerweise in Form von Monographien oder Beiträgen in Sammelbändern. Ein typisches Beispiel: Eine Wissenschaftlerin schreibt selbstständig ein Buch und veröffentlicht es in einem Verlag, und der Verlag kennt kein Peer Review-Verfahren. Diese Textformen werden erst nach der Publikation möglicherweise einem Peer Review unterzogen, wenn sie von anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besprochen werden.
  • In Gruppe 2 fallen Texte, welche nicht ganz ohne Peer Review sind, aber auch nicht einen formal klar geregelten Peer Review-Ablauf durchmachen. Das können oft Studien und Berichte sein, welche im Zuge eines Forschungsprojektes veröffentlicht werden, beispielsweise bein den «nationalen Forschungsprogrammen» in der Schweiz.
  • Gruppe 3 ist jene Gruppe mit dem strengsten, weil stringentesten Peer Review-Verfahren, wo wissenschaftliche Arbeiten systematisch geprüft und kritisiert werden, bevor sie in einer finalen Fassung veröffentlicht werden. Ein typisches Beispiel für Gruppe 3 sind wissenschaftliche Reifearbeiten, allen voran Dissertationen. Die aber vermutlich wichtigste Ausprägung in Gruppe 3 sind Artikel in Fachzeitschriften.

Artikel in Fachzeitschriften (auch «Journalen» oder englisch «Journale» genannt) stellen in doppelter Hinsicht den prinzipiellen Idealfall des wissenschaftliche Forschungsprozesses dar. Einerseits wenden Fachzeitschriften grundsätzlich das Peer Review-Verfahren an, und andererseits existieren diese Zeitschriften zum alleinigen Zweck, öffentlich zugänglich zu sein (ob gratis oder nicht, ist eine andere Frage).

Für den Rest dieses Blogeintrages widme ich mich wissenschaftlichen Fachzeitschriften, weil sie den vermutlich wichtigsten Kanal wissenschaftlicher Kommunikation darstellen. Was für Gebilde sind Fachzeitschriften eigentlich? Wer unternimmt das Peer Reviewing? Und wird mit Fachzeitschriften auch Geld verdient?

Wissenschaftliche Journals und die «Studien-Industrie»

Der Zwischentitel ist provokativ: Eine «Studien-Industrie» soll es geben? Also eine Art Gewerbe, wo bestimmte Produkte und Dienstleistungen in grossen Mengen gewinnbringend verkauft werden? Dem ist so, und das muss nicht schlecht sein, doch zunächst eine banalere Frage: Wie funktioniert eigentlich eine Fachzeitschrift mit Peer Review üblicherweise?

In den Prozess des Peer Review sind zwei Parteien involviert, und beide arbeiten im Grunde unentgeltlich. Zum einen reichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Texte ein, welche sie gerne als Studien in der jeweils betroffenen Zeitschrift veröffentlicht sähen. Diese Leute erhalten für ihre Forschungstätigkeit in aller Regel Lohn von einer Universität, aber ein Text, welcher in einer Fachzeitschrift publiziert wird, wird nicht mit einem Honorar o.ä. vergütet. Der Anreiz, Studien zu veröffentlichen, ist also nicht unmittelbar finanzieller Natur. Eher stellen publizierte Studien gewissermassen die Währung wissenschaftlicher Expertise dar, und eine umfassende Publikationsliste zeugt von umtriebigem Forschen. Das nimmt bisweilen bedenkliche Ausmasse an (vgl. die «Publish or perish»-Problematik), aber das soll nicht Thema des vorliegenden Blogeintrages sein.

Zum anderen erbringen weitere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ebenfalls unentgeltlich, die Peer Review-Leistung. D.h., die zur Veröffentlichung eingereichten Texte werden von fachkundigen Personen kritisch beurteilt, und dabei wird entschieden, ob ein Text sofort angenommen wird, ob noch Verbesserungen und Anpassungen vorzunehmen sind, oder, ob der Text abgelehnt wird.

Dieser Prozess läuft nicht immer reibungslos ab. So gibt es beispielsweise keinen unabhängig-neutralen Weg, sicherzustellen, dass der Peer Review auch wirklich ein kritischer Peer Review ist und nicht zu Pseudo-Peer Review verkommt – Fachzeitschriften können letztlich nur anhand ihrer Reputation in Expertenkreisen beurteilt werden. Eine «Fachzeitschrift» kann im Grunde spontan eine jede und ein jeder gründen, es existieren keinerlei Akkreditierungs-Verfahren und dergleichen. Fachzeitschriften sind faktisch aber nach wie vor der Ort, wo der wissenschaftliche Diskurs am deutlichsten stattfindet, und aus diesem Diskurs kristallisieren sich nach wie vor Argumente und Erkenntnisse heraus, welche wissenschaftlichen Fortschritt bedeuten. Dieser Blogeintrag ist keine Fundamentalkritik an Fachzeitschriften.

Lässt sich dieser in Fachzeitschriften stattfindende Diskurs in Zahlen fassen? Wie viele Studien werden jährlich in Fachzeitschriften veröffentlicht?

Das ist eine banale, aber sehr schwer zu beantwortende Frage, weil das Meer an Studien praktisch nicht überschaubar ist. Eine gute Annäherung sind die Daten der US-amerikanischen «National Science Foundation», welche wiederum auf den Datenbanken von Thomson Reuters beruhen (Bemerkung: Die Dezimalzahlen in der Arbeit kommen zu Stande, weil die NSF bei Studien, welche kollaborativ auf mehreren Kontinenten entstehen, die Studien gemäss der personellen Länderbeiteiligungen «aufteilt». Beispielsweise gehen 0.7 einer in Frankreich und Japan durchgeführten Studie an Frankreich, wenn 7 der beteiligten 10 Forschenden aus Frankreich stammen.):

Entwicklung Anzahl Publikationen

Tendenziell steigt die Anzahl der veröffentlichten Studien weltweit. 2011 wurden gemäss dieser Erhebung mehr als 800’000 Studien veröffentlicht – eine überwältigende Menge.

Und wo ist in diesem Studien-Meer die «Industrie»? Bei den Fachzeitschriften: Ein grosser Teil der Fachzeitschriften sind gewinnorientierte Unternehmen. Zuverlässige Zahlen zu der Anzahl an Studien, welche in gewinnorientierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden, sind nicht vorhanden, aber die Eigenangaben der vier Grössten Verlagshäuser können die Dimensionen andeuten:

  • Elsevier: Das in den Niederlanden beheimatete Unternehmen Elsevier gibt im Geschäftsbericht 2012 an, in über 2000 Fachzeitschriften über 330’000 Artikel veröffentlicht zu haben – nur im Jahr 2012, wohlgemerkt.
  • Wiley: Das Verlagsunternehmen John Wiley & Sons gibt an, über 1500 Fachzeitschriften zu verfügen.
  • Springer: Springer gibt an, über 2200 Fachzeitschriften zu verfügen.
  • Informa: Das Unternehmen Informa ist in Besitz von Taylor & Francis und verfügt über mehr als 1800 Journals.

Bei diesen Zahlen ist zu beachten, dass nicht zwingend alle Fachzeitschriften auch Peer Review-Zeitschriften sind. Es ist auch nur schätzungsweise möglich, zu beurteilen, welcher Anteil aller Peer Review-Studien auf diese vier Unternehmen – ich will sie die «big four», die «grossen vier», nennen – entfällt. Die Studie «Scientific Publishing: Knowledge is Power» schätzt, dass 42% aller veröffentlichten Studien auf Elsevier, Wiley und Springer entfallen. Inklusive Informa dürfte dieser Anteil 50% und mehr betragen (zumal die Studie aus dem Jahr 2002 stammt und die «big four» zunehmend kleine Verlage und Fachzeitschriften aufkaufen, den Markt also konzentrieren).

Das Geschäft mit Fachzeitschriften ist ein lukratives. Im Folgenden sind Umsatz und operativer Gewinn (Gewinn vor Steuern) der «big four» in Schweizer Franken abgebildet. Die Summen sind inflationsbereinigt, um allzu dramatische Kurven zu verhindern. Der operative Gewinn ist angegeben, weil diese Kennzahl in allen Geschäftsberichten zu finden ist und aus unternehmerischer bzw. aus Sicht der Aktionäre interessanter sein kann als der Reingewinn nach Steuern. Der Gewinn nach Steuern sagt oftmals eher etwas über die Steueroptimierungsstragie eines Unternehmens aus denn über die tatsächlich erwirtschaftete Leistung (Informa etwa hat den Sitz in der Schweizer «Steueroase» Zug).

Alle Zahlen stammen aus den Geschäftsberichten der «big four» (Elsevier, Wiley, Springer, Informa), und die unterschiedlich langen Datenreihen sind dem Umstand geschuldet, dass die online verfügbaren Geschäftsberichte unterschiedlich weit zurückreichen.

Umsatz und Gewinn Journale - Franken

Hier dieselben Daten in Euro anstatt in Franken:

Umsatz und Gewinn Journale - Euro

Bemerkung zu Informa: Die starke Abnahme des Umsatzes 2009 ist scheinbar nicht Effekt des realen Geschäftes, sondern einer anderen Berechnungsgrundlage bei Informa (eine Sparte bei den Wissenschaftspublikationen wurde nicht mehr als solche gezählt).

Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind eine Multi-Milliarden-Industrie.

Wissenschaftliche Fachzeitschriften sind eine Multi-Milliarden-Industrie. Ist das gut oder schlecht?

Gut ist es sicherlich für die Aktionäre der «big four», vielleicht weniger gut für die universitären Bibliotheken, die Hauptkunden der «big four». Das klassische Geschäftsmodell besteht darin, Bibliotheken Abonnements von Zeitschriften zu verkaufen, und die Abonnements sind teuer. Und sie werden stetig teurer, wovon auch der Begriff der «Zeitschriftenkrise» zeugt.

Aus Perspektive der Steuerzahlenden ist das eine etwas eigenartige Situation, denn wir alle zahlen für Wissenschaft doppelt oder dreifach:

  • Forschung an Universitäten wird (weitgehend) über Steuergelder finanziert.
  • Forschungsergebnisse der öffentlich finanzierten Forschung werden in Fachzeitschriften veröffentlicht. Um Zugriff auf die in Fachzeitschriften veröffentlichten Studien zu haben, muss die Universität Abonnements kaufen.
  • Wenn Normal-Bürgerinnen und -Bürger auf die entsprechenden Studien zugreifen wollen, müssen sie dies über universitäre Kanäle tun (z.B. in einer Bibliothek) oder selber individuelle Studien aus Fachzeitschriften kaufen (zu Preisen zwischen üblicherweise 20 und 40 Franken pro Studie).

Die Interessen der Fachzeitschrift-Verlage als Marktteilnehmer auf der einen und die Interessen der Wissenschaft und Gesellschaft auf der anderen Seite sind möglicherweise zunehmend wenig miteinander in Einklang zu bringen. Fachzeitschriften werden teurer, aber ein Zuwachs an Netto-Nutzen für die breitere Öffentlichkeit stellt sich auf den ersten Blick nicht ein.

Gibt es alternative Modelle der Wissenschaftskommunikation über Fachzeitschriften? Ja: «Open Access».

«Open Access»: Die Lösung aller Probleme?

«Open Access», zu Deutsch «freier Zugang», beschreibt ein Modell der Fachzeitschriften, bei welchem keine klassischen Abonnements-Kostenschranken anfallen. Die in einer Fachzeitschrift veröffentlichten Studien sind dabei in digitaler Form ohne zusätzliche Kosten verfügbar.

Die Studie «The Development of Open Access Journal Publishing from 1993 to 2009» dokumentiert die Zunahme von Open Access-Fachzeitschriften und -Artikeln (Die Daten aus den nachfolgenden Grafiken stammen aus dieser Studie):

Entwicklung OA-Journale

Entwicklung OA-Artikel

Open Access ist recht deutlich ein wachsender Trend. Doch bedeutet Open Access nicht, dass alles kostenlos ist; der Unterhalt einer Fachzeitschrift bedarf nach wie vor nicht zu unterschätzender Ressourcen. Das Finanzierungsmodell bei Open Access ist in solches, dass nicht für den Zugang zu Artikeln bezahlt werden muss, sondern für die Veröffentlichung von Artikeln. Wird ein Artikel im Zuge des Peer Review-Verfahrens zur Publikation angenommen, fällt eine Publikationsgebühr an. Diese Gebühr wird meistens von der Universität, welcher die Forschenden angehörte, gezahlt. Dieses Finanzierungsmodell ist nicht grundsätzlich unvereinbar mit profitorientierten Verlagen. Zum Beispiel unterhält Elsevier mittlerweile auch eine Reihe von Open Access-Journalen.

Obwohl also Open Acces profitorientiert betrieben werden kann, ist das Aufkommen von Open Access stark mit dem (Wieder-)Aufkommen nicht-profitorientierter Fachzeitschriften verbunden. Das vielleicht gegenwärtig bekannteste Beispiel für nicht-profitorientierte Fachzeitschriften sind die Zeitschriften der «Public Library of Science», allen voran die Zeitschrift «PLOS One». Die PLOS-Zeitschriften erfreuen sich stark wachsender Beliebthei. Davon zeugt nicht zuletzt, dass immer mehr Artikel in PLOS-Zeitschriften veröffentlicht werden:

Entwicklung PLOS-Artikel

In der Grafik wird unterschieden zwischen PLOS One und den restlichen PLOS-Kanälen. Es zeigt sich, dass PLOS One explosionsartig wächst, während das Wachstum der anderen PLOS-Zeitschriften deutlich weniger stark ist. PLOS One entwickelt sich mit grossen Schritten zu einer Art multidisziplinären «Mega-Fachzeitschrift». Das hat vor allem zwei Gründe:

Bei PLOS One besteht der Peer Review-Prozess aus einer Überprüfung, ob die Studie «technically sound» sei (also, in etwa, ob die Studie keine allzu offenkundigen Fehler enthält), und die weitere Beurteilung wird der Leserschaft überlassen. Beudeutet das: Freier Zugang auf Kosten der Peer Review-Qualität?

Freier Zugang auf Kosten der Peer Review-Qualität?

Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen. Der grosse Vorteil des vereinfachten Peer Review bei PLOS One ist, dass auch Studien veröffentlicht werden, welche ansonsten zu wenig Interesse wecken (vgl. den Publikations-Bias). Es drängt sich aber die Frage auf, was letztlich Sinn und Zweck von Peer Review ist – nur Kontrolle der gröbsten technisch-methodischen Aspekte einer Studie, oder ein tiefergehender Qualitätsfilter?

Bei der obigen Grafik zur Entwicklung der Anzahl Artikel in PLOS-Zeitschriften nimmt PLOS One vermutlich nicht zufällig überproportional stark zu. Viele der in PLOS One veröffentlichten Artikel würden von der Disziplin her in eine der spezifischeren PLOS-Zeitschriften passen, aber diese spezifischeren Zeitschriften arbeiten mit einem klassisch-strengen Peer Review-Prozess. Der Anreiz ist offenkundig da, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen.

Ein weiteres grundsätzliches Bedenken mit dem dem Open Access-Modell wurde durch einen Beitrag von 2013 in der Zeitschrift Science ins Rampenlicht gerückt. Hunderte von Open Access-Journalen mit angeblichem Peer Review-Verfahren haben eine fingierte Studie zur Publikation angenommen, obwohl die Studie einen offensichtlichen, groben Fehler enthielt.

Diese Episode wirft die Frage auf, ob Open Access nicht auch falsche Anreize auf der Seite der Zeitschriften selber setzen kann: Maximal viele Studien publizieren, um maximal viel Geld einzunehmen. Bei PLOS One und anderen nicht-profitorientierten Zeitschriften ist dieser Anreiz nicht gross bis inexistent, weil nicht-profitorientierte Open Access-Zeitschriften keine jährlichen Gewinnausschüttungen an Aktionäre machen müssen und stattdessen Überschüsse direkt in die Zeitschriften selber investieren (PLOS beispielseise hat vergünstigte Publikationstarife für Forschende aus Entwicklungsländern, welche durch die regulären Einnahmen subventioniert werden.).

Fazit: Alles bleibt gleich, und alles verändert sich

Dieser Blogeintrag ist länglich ausgefallen, kratzt aber trotzdem nur an der Oberfläche der Thematik.

Wissenschaft ist nicht etwas, was von Zauberhand passiert und ganz von alleine in der Gesellschaft Niederschlag findet. Wissenschaft ist ein komplexes soziales System, bei welchem Kommunikation eine zentrale Rolle spielt. Wissenschaft ist ein Prozess des steten Austausches der Wissenschaft mit sich selber sowie der Wissenschaft mit der breiteren Gesellschaft. Dieser Austausch findet in Form von Kommunikation statt, und zwar zu grossen Teilen über den Kanal wissenschaftlicher Fachzeitschriften.

Es zeichnet sich ein deutlicher Trend ab, dass zunehmend mehr wissenschaftliche Forschung grundsätzlich frei zugänglich ist. Es stellt sich aber die Frage, wie den Tücken dieser begrüssenswerten Entwicklung zu begegnen ist: Open Access ist wenig wert, wenn er auf Kosten des Peer Review geht – was nützt ein Filter, um gute von schlechter Wissenschaft zu trennen, wenn der Filter fast nichts mehr aufzufangen vermag?

Eine weitere, überfällige Diskussion ist die Rolle profitorientierter Unternehmen bei wissenschaftlichen Fachzeitschriften. Ist es haltbar, dass (weitgehend öffentlich finanzierte) Wissenschaft eine Multi-Milliarden-Industrie nährt? Oder sind private Fachzeitschriften eine Garantie für wissenschaftliche Unabhängigkeit? Brauchen wir einen «dritten Weg» mit staatsfernen, aber öffentlichen Fachzeitschriften?

All dies sind schwierige Fragen und vielschichtige Probleme, und alle wir, die wir behaupten, an Wissenschaft interessiert zu sein, müssen uns diesen Fragen und Problemen stellen.

Update 12.02.2014

Die Zahlen zu Umsatz und Gewinn der «big four» betreffen nur die Geschäftssparten zu Wissenschaftspublikationen und nicht den jeweils gesamten Umsatz und gesamten operativen Gewinn der Unternehmen.

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