Ein Evidenz-Label für Arzneimittel

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Um was geht es?

Skeptiker Schweiz schlägt vor, inskünftig alle Arzneimittel mit einem Hinweis zu versehen, welcher angibt, wie gut die behauptete Wirkung oder die behaupteten Wirkungen des jeweiligen Arzneimittels durch wissenschaftliche Evidenz gestützt ist oder sind. Konsumentinnen und Konsumenten können damit auf einen Blick erfahren, wie es bei einem Arzneimittel um die wissenschaftliche Evidenz steht.

Das Evidenz-Label soll für alle zugelassenen Arzneimittel angewendet werden; egal, ob es sich um klassische pharmakologische Arzneimittel oder um Arzneimittel aus dem Bereich der Komplementär- und Alternativmedizin handelt.

Designvorschlag

Das Evidenz-Label soll eine Heuristik für das Mass an wissenschaftlicher Evidenz sein. Unser allgemeiner Designvorschlag sieht folgendermassen aus:

In diesem Designvorschlag gibt es fünf Evidenz-Klassen, welche mit Zahlen wie auch farblich markiert sind. Bei dem Evidenz-Label soll zudem der Hinweis auf die Online-Plattform der Evaluationsstelle angebracht sein, damit Konsumentinnen und Konsumenten unmittelbar wissen, wo sie weiterführende Informationen zu dem betroffenen Arznemitmittel und dessen Evidenz-Einstufung finden können.

Was ist der Nutzen eines Evidenz-Labels?

Ein Evidenz-Label auf Arzneimitteln hat in mehrfacher Hinsicht einen grossen Nutzen:

  • Konsumentenschutz: Patientinnen und Patienten sowie das medizinische Fachpersonal haben ein offensichtliches Interesse daran, zu erfahren, wie es mit der wissenschaftlichen Evidenz zu Arzneimitteln genau aussieht. Um selber zu recherchieren, wie die wissenschaftliche Evidenz zu einem bestimmten Arzneimittel aussieht, sind sehr viele Ressourcen (Zeit und ggf. Geld) notwendig, welche die meisten Menschen nicht aufbringen können. Ein Evidenz-Label ist entsprechend eine enorm nützliche Dienstleistung, welche den Stand der wissenschaftlichen Studienlage zusammenfasst.
  • Vorreiterrolle der Schweiz: Wenn wir in der Schweiz ein Evidenz-Label einführen, dann können wir international eine Vorreiterrolle übernehmen und einen internationalen Qualitätsstandard im Konsumentenschutz setzen. Das ist gut für die Schweiz.

Sind nicht schon jetzt alle Arzneimittel evidenzbasiert?

In der Schweiz werden Arzneimittel durch das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic geprüft. Swissmedic macht eine gute Arbeit – das Evidenz-Label baut darauf auf (Nur von Swissmedic zugelassene Arzneimittel erhalten ein Label). Das Ziel des Evidenz-Labels ist es, die wissenschaftliche Evidenz vertieft zu prüfen.

Im Bereich der wissenschaftlichen Evidenz gibt es aber, in der Schweiz wie auch international, bestimmte systemische Verzerrungen. Komplementärmedizinische Verfahren etwa werden grundsätzlich nach anderen, weniger streng wissenschaftlichen Kriterien beurteilt. Das Evidenz-Label sieht vor, dass alle Arzneimittel nach denselben Kriterien beurteilt werden.

Bei regulären pharmakologischen Humanarzneimitteln wird auch von Swissmedic wissenschaftliche Evidenz berücksichtigt. Für das Evidenz-Label sollen aber auch gewisse Probleme innerhalb der Pharmaforschung mitberücksichtigt werden. Beispielsweise ist bekannt, dass Pharmaunternehmen die Tendenz haben, Ergebnisse klinischer Forschung nicht zu veröffentlichen, wenn die Ergebnisse darauf hindeuten, dass das untersuchte Arzneimittel unwirksam ist1 2, oder auch, dass Pharmaunternehmen mitten im klinischen Versuch oder sogar nach Abschluss des klinischen Versuches ändern, was sie eigentlich genau untersuchen wollen3 4. Diese Probleme gepaart mit allgemeinen methodischen Problemen führen dazu, dass von Pharmaunternehmen durchgeführte Arzneimittelforschung unverhältnismässig oft zum Schluss kommt, dass das jeweilige Arzneimittel wirkt5 6. Das Evidenz-Label berücksichtigt all diese gewichtigen Verzerrungen innerhalb der Pharmaforschung, um den Grad der Evidenz rational einzuschätzen.

Wie wird die Evidenz bestimmt?

Wir schlagen vor, dass für die Bestimmung der Evidenz eine unabhängige Evaluationsstelle geschaffen wird. Die Evaluationsstelle muss vollständig unbefangen sein. Alle Expertinnen und Experten, welche die Evaluationen durchführen, dürfen niemals in irgendeiner Form finanziell von einem Arzneimittelhersteller profitiert haben.

Der genaue Kriterienkatalog für die Bestimmung der Evidenz ist noch zu definieren; die Schaffung der Evaluationsstelle ist ein aus mehreren Schritten bestehendes Projekt (vgl. PDF-Dokument weiter unten). Einige Kriterien, welche grundsätzlich von Bedeutung sein werden, sind Faktoren wie die öffentliche Verfügbarkeit der Rohdaten von Studien oder die Güte des Studiendesigns.

Der Evaluationsprozess soll keine Blackbox sein, sondern, im Gegenteil, radikal transparent: Jede Konsumentin und jeder Konsument soll auf der Online-Plattform der Evaluationsstelle lückenlos nachvollziehen können, warum ein Arzneitmittel eine bestimmte Evidenz-Klasse erhalten hat.

Projektbeschreibung als PDF

Kontakt

Marko Kovic
marko.kovic@skeptiker.ch
+41 76 335 06 17

Projektübersicht

Medienberichte

Autor

References

  1. McGauran, Natalie, Beate Wieseler, Julia Kreis, Yvonne-Beatrice Schüler, Heike Kölsch, and Thomas Kaiser. 2010. “Reporting Bias in Medical Research – a Narrative Review.” Trials 11: 37. doi:10.1186/1745-6215-11-37.
  2. Every-Palmer, Susanna, and Jeremy Howick. 2014. “How Evidence-Based Medicine Is Failing due to Biased Trials and Selective Publication.” Journal of Evaluation in Clinical Practice 20 (6): 908–14. doi:10.1111/jep.12147.
  3. Altman, Douglas G., David Moher, and Kenneth F. Schulz. 2017. “Harms of Outcome Switching in Reports of Randomised Trials: CONSORT Perspective.” BMJ 356 (February): j396. doi:10.1136/bmj.j396.
  4. “For My next Trick…” 2016. The Economist. http://www.economist.com/news/science-and-technology/21695381-too-many-medical-trials-move-their-goalposts-halfway-through-new-initiative.
  5. Lexchin, Joel, Lisa A. Bero, Benjamin Djulbegovic, and Otavio Clark. 2003. “Pharmaceutical Industry Sponsorship and Research Outcome and Quality: Systematic Review.” BMJ 326 (7400): 1167–70. doi:10.1136/bmj.326.7400.1167.
  6. Sismondo, Sergio. 2008. “Pharmaceutical Company Funding and Its Consequences: A Qualitative Systematic Review.” Contemporary Clinical Trials 29 (2): 109–13. doi:10.1016/j.cct.2007.08.001.

2 Comments on “Ein Evidenz-Label für Arzneimittel”

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