Heisse Luft aus Silicon Valley: LSD in Mikrodosen

Martin BeyelerBlog, Humbug des MonatsLeave a Comment

Oder: Reichlich Humbug, dafür Fakten in Kleinstmengen?

LSD ist Hip, nicht mehr nur in Silicon Valley. Gerüchte und Behauptungen zu wundersamen Wirkungen dieser Substanz gibt es zur Genüge. Die pharmazeutische Forschung täte im Bereich der Psychiatrie gut daran, neue Substanzklassen zu untersuchen und es gibt Hinweise, dass LSD einiges Potenzial hat. Die knappe Datenlage und bisher eingeschränkte Forschung zu dieser Substanz wird von gewissen Exponenten geschickt ausgenutzt, um dem mythenumwobenen LSD gar wundersame Wirkungen zuzuschreiben. Dafür sollten sogar kleinste Mengen der Substanz ausreichen. Kleine Mengen fanden wir vor allem bei den Belegen für diese Behauptungen. Im Februar wehte also der Humbug in Form von reichlich heisser Luft aus Silicon Valley.

LSD in "Mikrodosen" - Sollten wir den wundersamen Wirkungen glauben?

LSD in „Mikrodosen“ – Sollten wir den wundersamen Wirkungen glauben?

Einer der häufigsten Fehlschlüsse, die ich in meinem Arbeitsalltag als Apotheker erlebe, ist die grobe Überschätzung der Aussagekraft einer persönlichen Erfahrung, knapp gefolgt von dem „confirmation bias“, der Neigung, die Fakten zu einem Versuch (in unserem Fall zu einem Therapieversuch) so zu bewerten, dass das Resultat möglichst unseren Erwartungen entspricht. Längst wird nicht nur in der sogenannten Alternativmedizin aus einigen Fallbeispielen gleich der Beweis für die Wirksamkeit eines Präparates abgeleitet. Die (vermeintliche) Genesung von einem Gebrechen dank Präparat X wiegt oft viel mehr, als die gesammelte Evidenz aus grossen, aufwändig kontrollierten Studien. Und ebenso oft werden Widersprüche und Negativbeispiele ignoriert oder wegdiskutiert, wenn sie dem bestehenden Weltbild widersprechen. Paradebeispiele sind homöopathische Arnika-Präparate, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda als Allerheilmittel gegen jede mögliche Verletzung herumgereicht werden, aber auch das populäre Grippepulver in der orangen Verpackung, dass viele einnehmen, um eine Grippe gerade noch abzufangen, bevor sie beginnt. In beiden Fällen wird die Aussagekraft der persönlichen Erfahrung überschätzt.

Ähnliches passiert im Moment bei den Psychedelika. «LSD zu nehmen war eines der drei wichtigsten Dinge, die ich in meinem Leben getan habe», wurde Steve Jobs 2005 in einem Buch zitiert (What the Doormouse Said: How the Sixties Counterculture Shaped the Personal Computer1). Spätestens seither ist die Droge wieder im Mainstream aufgetaucht. Hunderte von Erfahrungsberichten zeugen davon, dass gerade im Silicon Valley seit einiger Zeit mit verschiedenen Psychedelika experimentiert wird. Die Substanz wird aber nicht (nur) für klassische «Trips» benutzt, sondern in Kleinstdosen zur Steigerung von Kreativität, Produktivität, Einfühlungsvermögen und ähnlichen Eigenschaften angepriesen. Die Wirkstoffmenge beim sogenannten «Microdosing» soll dabei keine Wahrnehmungsveränderungen verursachen. Die NZZ am Sonntag brachte kürzlich ein ausführliches Interview mit Paul Austin2, und nennt ihn den «ersten professionellen LSD-Microdosing Coach». Der Amerikaner hat – wie es sich für das Silicon Valley gehört – dazu eine entsprechende Website eingerichtet, auf der man seine Bücher mit Anleitungen und natürlich persönliche Coachings mit ihm buchen kann. Im Interview erklärt er, dass er mit Psychedelika, im Speziellen LSD, seine Energielevel und die neuronale Plastizität erhöhen kann. Ausserdem habe es seine soziale Intelligenz verbessert und helfe allgemein in einen «Flow-Zustand» zu kommen, in dem Probleme einfacher und kreativer gelöst werden können (im Gegensatz zu Koffein, so Austin, das mehr die Konzentrationsfähigkeit verbessere). Man muss ihm zu Gute halten, dass er auch von möglichen Nebenwirkungen spricht, speziell die Verstärkung von bestehenden Panikattacken. Entsprechend fordert er, dass LSD noch nicht frei erhältlich sein sollte, sondern erst nach absolvierter Schulung zum Umgang mit der Substanz. Ein Schelm, der Böses dabei denkt, wenn ein Coach obligatorische Schulungen verlangt. Die Thematik entspricht natürlich ganz dem Trend nach Selbstoptimierung, der längst nicht nur im Silicon Valley die Gesellschaft beschäftigt. Ob durch fernöstliche Achtsamkeitspraxis, psychedelische Substanzen oder durch operative Verbesserungen ist zweitrangig – Hauptsache ist, dass man seine Leistung auf das Maximum trimmen kann. Die zweifelhafte Ecke, aus der das Thema LSD jetzt auftaucht, könnte einen verleiten, es nur als den nächsten Hype aus den USA abzutun. Tatsächlich ist aber in den letzten zehn Jahren auch das Interesse der universitären Forschung an der Substanz wieder erwacht und zeigt spannende erste Ergebnisse.

Die Forschung mit LSD ist zwar schon deutlich älter und begann einige Jahre, nachdem Albert Hofmann die psychedelischen Eigenschaften der Substanz an sich selbst entdeckt hatte. Als «Delysid» wurde es zunächst zum experimentellen Hervorrufen von Psychosen benutzt. Zudem wurde der Wirkstoff von verschiedenen Staaten auf sein Potential als Kampfstoff untersucht und von der CIA im Projekt „MKULTRA“3 4, (nebst vielen anderen Substanzen und Methoden) als Hilfssubstanz bei Verhören getestet. Parallel dazu entwickelte sich ein Interesse für die bewusstseinsverändernden Eigenschaften von LSD und anderen Psychedelika. Die Popularisierung des nicht-medizinischen Gebrauchs dieser Substanzen ging zuerst von einigen Psychologen und Psychiatern aus, deren prominentester Vertreter wohl Timothy Leary war, die beruflich mit der Thematik in Kontakt kamen. Während die Substanz in der Öffentlichkeit schnell als Hippie-Droge definiert wurde, fanden in der universitären Forschung weiter vielversprechende Versuche statt. Intensiv untersucht wurde beispielsweise der Effekt einer einzelnen Dosis LSD in der Therapie von Alkoholabhängigkeit. Ebenfalls intensiv erforscht wurde der Einsatz bei Angststörungen. Daneben wurden zahlreiche medizinische und nicht-medizinische Fragestellungen erforscht, z.B. wie sich Kreativität und Problemlösungsstrategien unter dem Einfluss von Psychedelika verändern. Anfang der 1970er-Jahre wurden die meisten Psychedelika als nicht-verkehrsfähige Betäubungsmittel klassifiziert, zuerst in den USA im Zuge des War on Drugs, und bald darauf in den meisten westlichen Ländern, so auch in der Schweiz.

Erst in den letzten 20 Jahren wurde die Forschung an verschiedenen psychotropen Stoffen wieder aufgenommen. Durch die einfachere Dosierbarkeit wird meist mit Psilocybin, dem pharmakologisch aktiven Stoff in sogenannten Zauberpilzen, gearbeitet, doch auch das Interesse an LSD ist wieder erwacht. In der Schweiz beschäftigen sich mehrere Forschungsgruppen mit Grundlagenforschung an verschiedenen psychoaktiven Stoffen, um herauszufinden, wie sich die Substanzen eigentlich im menschlichen Körper verhalten und wie die verschiedenen Effekte auf die Psyche mit Wirkstofflevels im Blut in Verbindung stehen.

In der Entwicklung von neuen Medikamenten im psychiatrischen Bereich ist es seit langem sehr ruhig5 6. Neue Medikamente imitieren durchs Band weg die schon bekannten Wirkstoffe. Ob der propagierte zusätzliche Nutzen überhaupt existiert, oder vor allem durch geschicktes Studiendesign zustande kommt ist oft fraglich. In diesem Kontext ist die Forschung an Psychedelika natürlich hochinteressant, vor allem, wenn es wirklich Hinweise darauf gibt, dass sie in einigen Fällen therapeutischen Nutzen bringen könnten. Eine Metaanalyse von 2012 zu LSD und Alkoholabhängigkeit, fand eine etwa anderthalbfache Abstinenzwahrscheinlichkeit, wenn Alkoholabhängige zusätzlich zur Entzugsbegleitung eine Einmaldosis LSD erhalten hatten7. Andere Studien weisen auf ein mögliches Potential bei posttraumatischer Belastungsstörung hin. Die vorhandene Datenlage hat aber drei grundlegende Schwächen: viele der Daten, zum Beispiel in der erwähnten Metaanalyse, stammen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren und genügen oft heutigen Standards nicht mehr. Dazu kommt, dass die Studien zu LSD kaum verblindet werden können (der halluzinogene Effekt einer wirksamen Dosis LSD ist derart stark, dass auch kaum ein Placebo eine verwechselbare Täuschung hervorrufen könnte) und damit die Gefahr z.B. eines confirmation bias besteht. Und drittens haben die Studien durchs Band weg nur sehr wenige Teilnehmer, besonders in den aktuellen Arbeiten. Durch die strenge Klassifizierung als nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel wird die Forschung daran massiv behindert. Die Einstufung ist umso bedauerlicher, da vieles darauf hinweist, dass LSD weder körperlich noch psychisch abhängig macht, selbst ein Mehrfaches der wirksamen Dosis keine körperlichen Schäden hervorruft und Berichte über bleibende psychische Schäden trotz 70 Jahre Erfahrung mit der Substanz anekdotisch bleiben. Matthias E Liechti formulierte es in einem Review-Artikel zum Thema treffend: «These old–new treatments may have a potential in psychiatry. As professionals, we should actively study these new options so patients who are in need will not look elsewhere for unproven treatments from unregulated sources.»8 Genau in diese «unproven treatments from unegulated sources» fällt auch das eingangs erwähnte Microdosing. Mit den schwierigen Bedingungen für Forscher und dem wachsenden Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema erstaunt es nicht, dass praktisch alles, was wir über mikrodosiertes LSD wissen, aus Sammlungen von Erfahrungsberichten stammt. Diese sind zwar zahlreich, taugen aber durch ihre Natur lediglich als Hinweis auf mögliche Forschungsthemen.

Dazu passt, dass Paul Austin zwar zahlreiche mehr oder weniger aussagekräftige Studien zu LSD zitiert, um seine Microdosing-Behauptungen zu untermauern, sich dort aber nicht eine einzige Studie findet, die LSD in sogenannten Mikrodosen untersucht hat. Damit sind seine Behauptungen und sein ganzes Businessmodell im Moment leider nicht viel mehr als die gewohnte heisse Luft aus dem Silicon Valley.

Was ist denn jetzt von LSD zu halten?

Es besteht definitiv ein grosses Interesse am Thema Mikrodosiertes LSD. Durch die fehlenden Daten aus grossen Studien zu LSD und verwandten Substanzen ist es nicht möglich, eine Aussage darüber zu machen, ob sie sich zur Verbesserung kognitiver Fähigkeiten eignen. Die behaupteten Effekte auf Kreativität, Empathie, Konzentrationsfähigkeit und weitere «soft skills» basieren auf Sammlungen von Erfahrungsberichten, die von einer ganzen Reihe von Verfälschungen beeinflusst sein können, nicht zuletzt durch den Mythos, der die Substanz umgibt und die Tatsache, dass hippe Exponenten aus der Software-Branche die gelegentliche Einnahme von Mikrodosen empfehlen. Bestehende Daten zur Anwendung in der Psychiatrie geben aber Anlass zur Hoffnung, dass es sich dabei in einigen Indikationen eigentlich um hilfreiche Substanzen handeln könnte. Es ist also auch für Interessierte empfehlenswert, noch nicht gerade auf den Zug aufzuspringen und in einigen Jahren noch einmal die aktuelle Studienlage zu prüfen.

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References

  1. J. Markoff, What the Dormouse Said: How the Sixties Counterculture Shaped the Personal Computer Industry, Reprint edition. New York: Penguin Books, 2006.
  2. C. Koch, «Paul Austin: ‹LSD hat mein Leben verändert›», NZZ am Sonntag. https://nzzas.nzz.ch/gesellschaft/psychedelika-paul-austin-wer-lsd-mikrodosen-nimmt-wird-kuenftige-arbeitswelt-beherrschen-ld.1357941
  3. J. D. Marks, The Search for the «Manchurian Candidate»: The CIA and Mind Control: The Secret History of the Behavioral Sciences, Revised ed. edition. New York: W. W. Norton & Company, 1991.
  4. «Chapter 3: Supreme Court Dissents Invoke the Nuremberg Code: CIA and DOD Human Subjects Research Scandals», Advisory Committee on Human Radiation Experiments, 1995. https://biotech.law.lsu.edu/research/reports/achre/chap3_4.html
  5. R. A. Friedman und M.D, «A Dry Pipeline for Psychiatric Drugs», The New York Times, 19-Aug-2013. https://www.nytimes.com/2013/08/20/health/a-dry-pipeline-for-psychiatric-drugs.html
  6. S. R. Marder, T. Laughren, und S. J. Romano, «Why Are Innovative Drugs Failing in Phase III?», Am. J. Psychiatry, Bd. 174, Nr. 9, S. 829–831, Sep. 2017.
  7. T. S. Krebs und P.-Ø. Johansen, «Lysergic acid diethylamide (LSD) for alcoholism: meta-analysis of randomized controlled trials», J. Psychopharmacol. (Oxf.), Bd. 26, Nr. 7, S. 994–1002, Juli 2012.
  8. M. E. Liechti, «Modern Clinical Research on LSD», Neuropsychopharmacology, Bd. 42, Nr. 11, S. 2114–2127, Okt. 2017.

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