Naturheilkunde an der Universität Zürich: Wissenschaft unerwünscht?

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Die Neubesetzung des Naturheilkunde-Lehrstuhls

Am 30. August fanden öffentliche Vorträge im Rahmen der Neubesetzung der Professur für Naturheilkunde statt, und zwar mit folgenden fünf Kandidaten:

Programm Symposium Naturheilkunde 30.August

Diese Vorträge haben Tobias Füchslin und ich besucht und in Folge 3 des Podcasts besprochen. Unser damaliges Fazit zu den Vorträgen: Bis auf Ursula Wolf, die bei der KIKOM arbeitet, skizzierten die Referentinnen und Referenten eine mehr oder minder explizite evidenzbasierte Sicht der Dinge, so auch Claudia Witt, deren Forschung im Artikel von sueddeutsche.de kritisiert wird.

Wie wir im Podcast besprechen, hatte Claudia Witt einen recht souveränen Auftritt: Sie konnte mit Elan darstellen, wie es um die (teils von ihr erarbeiteten) Befunde vor allem zu Akupunktur steht. Dabei spricht Claudia Witt unverblümt von der beobachteten Wirkung als «unspezifirschen Effekten», also Placebo-Effekten.

Im Podcast kommen wir zum Schluss, dass Claudia Witt zwar gut vorgetragen hat, also durchaus über gute didaktische Fähigkeiten verfügt, der Inhalt ihres Vortrages im Vergleich zu ihren Konkurrenten aber banal war: Während Witt epidemiologische Daten präsentierte (im wesentlichen Statistiken zu Verbreitung, Nutzung, Zufriedenheit usf.), ging z.B. Florian Pfab inhaltlich tiefer auf physiologische Effekte bei der Nadelsetzung ein – im Podcast bezeichnen wir Letzteren denn auch als in einer höheren wissenschaftlichen Liga spielend.

Unsere Einschätzung von Claudia Witt war also, dass sie wissenschaftlich unproblematisch, aber substanzlos argumentiert. Wie der Verlauf der Dinge nun demonstriert, war nur Eines ohne Substanz: Unsere Recherche zu Claudia Witt, denn wissenschaftlich unproblematisch scheint ihre Position im Lichte des sueddeutsche.de-Artikels nicht.

Ernst raus, Globuli rein?

Der gegenwärtige Lehrstuhl von Claudia Witt wird von der Carstens-Stiftung finanziert, welche das Ziel hat, «Komplementärmedizin» zu verbreiten, und nicht kritisch zu untersuchen, was die eigentliche Aufgabe von Wissenschaft ist.

Das bedeutet nun nicht automatisch, dass Claudia Witt diese anti-wissenschaftliche Sicht teilt. Eine Gefahrenquelle ist aber gegeben, denn eine Interpretation der Ergebnisse im Sinne der den Lehrstuhl finanzierenden Stiftung ist kein weit hergeholtes Szenario. Wie der Artikel von sueddeutsche.de dokumentiert, sind für eine solche Verzerrung deutliche Indizien gegeben. In einer Info-Broschüre der Charité beispielsweise wird zur Datenlage festgehalten:

Bisher ist nicht eindeutig belegt, dass sich homöopathische Arzneimittel von Placebo unterscheiden.

Solche Erklärungen können als «kreative Buchhaltung» der wissenschaftlichen Dateninterpretation angesehen werden. Konkret bedeutet die Aussage, dass die sogenannte Nullhypothese (Homöopathische Globuli unterscheiden sich in der Wirkung von Placebo-Globuli) nicht verworfen werden kann – d.h., dass die vorhandenen Daten nicht dafür sprechen, dass die sogenannte Alternativhypothese (Homöopathische Globuli wirken stärker als Placebo-Globuli) gestützt wird.

Wenn eine Hypothese durch die vohandenen Daten nicht gestützt wird (was bei Homöopathie seit über 200 Jahren der Fall ist), gilt sie als vorläufig verworfen. Das bedeutet nicht, dass es nicht erlaubt ist, die Hypothese erneut zu prüfen, und gegebenenfalls durch neue Ergebnisse anders zu beurteilen. Bei Homöopathie sind die Ergebnisse indes nach wie vor dieselben – keine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus.

Wenn nun kreative Interpretation vom Schlage Claudia Witts geschieht, handelt es sich um einen «rejection bias»: Witt weigert sich, die Hypothese zu verwerfen, und verpackt die Ergebnisse sprachlich so, dass der wissenschaftliche Ethos gerade noch gewahrt bleibt – solange man nicht direkt lügt oder Daten fälscht, ist alles im Lot. Das ist nicht mehr Wissenschaft.

Kritik an Claudia Witts Forschung zu Homöopathie und an ihrer Gehirnakrobatik bei der Interpretation der Datenlage hat auch Edzard Ernst kundgetan. Ebenfalls hat Ernst spezifischer im Rahmen der Neubesetzung des Naturheilkunde-Lehrstuhls den Umstand kommentiert, dass Claudia Witt für einen Lehrstuhl kandidiert, den sie in der sogennanten Strukturkommission zuvor selber mitgestaltet hat (vgl. die Richtlinien über das Berufungsverfahren an der Medizinischen Fakultät). Dass sie dadurch einen unfairen Vorteil gegenüber regulären Kandidaten hat, scheint offensichtlich.

Edzard Ernsts Kommentare zu Witts Forschung und zu den eigentümlichen Umständen ihrer Kandidatur stellen nach dem Dafürhalten des Dekans der medizinischen Fakultät der Universität Zürich, Klaus Grätz, einen Vertrauensbruch dar.

Zwischenfazit

Edzard Ernst ist letztlich selber aus der Berufungskommission ausgetreten, weil er vermutet, dass sein Einsitz in diesem Gremium nur eine nach aussen gerichtete Symbolwirkung haben sollte: Wenn ein prominenter Vertreter der evidenzbasierten Forschung zu Alternativmedizin wie Edzard Ernst in der Berufungskommission ist, wird der künftige Lehrstuhl dank des «Quoten-Kritikers» vermeintlich automatisch von hoher wissenschaftlicher Güte sein.

Wer Wissenschaft etwas abgewinnen kann, ist angesichts dieser Geschichte besorgt. Wenn für einen universitären Lehrstuhl das oberste Kriterium nicht die Wahrung und Verteidigung der wissenschaftlichen Methode ist, und wenn das öffentliche Einstehen für diese Prinzipien als Fauxpas gilt, droht Ungemach.

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