Neue Studie: Verschwörungstheorien und Wahrscheinlichkeit

Marko KovicBlog4 Comments

Verschwörungstheorien helfen, mit Ungewissheit umzugehen. Irrational sind sie trotzdem.

Dinge, die uns eher unwahrscheinlich scheinen, können wir uns nicht immer erklären – darum glauben wir gerne, dass dahinter eine Verschwörung stecken könnte.

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien? Dieser Frage gehen Tobias Füchslin und ich in einer im April 2018 erschienen Studie nach1 (auch als Open Access-Version verfügbar2).

Verschwörungstheoretisches Denken: Pathologie oder normale Kognition?

Bei dem Versuch, zu erklären, warum Menschen an Verschwörungstheorien glauben, wird oft argumentiert, dass verschwörungstheoretisches Denken etwas mit „maladaptiven“ bis pathologischen Persönlichkeitsmerkmalen zu tun hat. So gibt es etwa Evidenz, dass Menschen, die eher paranoide Züge haben auch viel eher an Verschwörungstheorien glauben.

In unserer Studie gehen wir aber von einem anderen Erklärungsmodell aus. Es kann sicher sein, dass verschwörungstheoretisches Denken direkt oder indirekt mit psychologischen Pathologien zu tun hat – aber wir glauben nicht, dass jede Person, die an eine Verschwörungstheorie glaubt, automatisch krank ist oder sonstwie psychisch leidet. Stattdessen gehen wir davon aus, dass verschwörungstheoretisches Denken eine Art kognitive Heuristik ist, um mit unwahrscheinlichen Ereignissen umzugehen.

Die Studie

In Wahrscheinlichkeiten zu denken, ist schwierig. Ereignisse, die sehr unwahrscheinlich sind, stellen für uns eine kognitive Herausforderung statt: Wenn etwas passiert, was sehr unwahrscheinlich ist, wissen wir rein intellektuell zwar, dass das einfach Glück oder Pech gewesen sein kann – aber so richtig befriedigend ist diese Antwort nicht.

In unserer Studie prüfen wir, ob Menschen eher bereit sind, Verschwörungstheorien zu akzeptieren, wenn das Ereignis, um welches es geht, unwahrscheinlich ist. Zu diesem Zweck haben wir fünf Experimente mit über 2’500 Probanden durchgeführt. Das deutliche Ergebnis: Je unwahrscheinlicher ein Ereignis, desto eher glauben die Probanden, dass die Erklärung für das Ereignis eine Verschwörung ist.

Das Ergebnis eines der fünf Experimente: Je unwahrscheinlicher ein Ereignis ist, desto eher glauben die Probanden, dass dahinter eine Verschwörung steckt.

Das Ergebnis, dass geringere Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses mit grösserer Bereitschaft, an Verschwörungstheorien als Erklärung für das Ereignis zu glauben, einhergeht, ist nicht sehr überraschend. Verschwörungstheorien sind schliesslich Erklärungen für Ereignisse oder Zustände, die wir mit guten Gründen schlecht, gefährlich, tragisch, schockierend finden. Das sind ganz natürlicherweise nicht-alltägliche Ereignisse oder Zustände, die gewichtige Konsequenzen haben und von (welt-)politischer Bedeutung sind.

Verschwörungstheoretisches Denken als Bewältigungsmechanismus für Ungewissheit

Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass verschwörungstheoretisches Denken eine Art kognitiver Heuristik ist: Um unwahrscheinliche Ereignisse zu verarbeiten, akzeptieren wir Verschwörungstheorien als Erklärungen. Das ist zunächst eine schlechte Nachricht. Wenn unser Hirn kognitiv „von Haus aus“ anfällig für diese Form der Irrationalität ist, dann ist das ein flächendeckender Nährboden für Verschwörungstheorien – wir alle sind eben anfällig dafür.

Unsere Befunde bergen aber auch eine gute Nachricht. Wie bei anderen kognitiven Verzerrungen ist es nämlich auch in diesem Fall denkbar, sogenannte Debiasing-Strategien anzuwenden. Debiasing meint den Versuch, unsere Anfälligkeit für kognitive Verzerrungen aktiv zu reduzieren. Bei verschwörungstheoretischem Denken könnte eine erfolgversprechende Debiasing-Strategie darin bestehen, den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten z.B. in der Schule expliziter zu trainieren. Nur schon durch ein geschärftes Bewusstsein für den Umstand, dass wir mit Wahrscheinlichkeiten intuitiv Mühe haben, können wir unsere Anfälligkeit für verschwörungstheoretisches Denken senken.

Autor

References

  1. Kovic, Marko, and Tobias Füchslin. 2018. “Probability and Conspiratorial Thinking.” Applied Cognitive Psychology, April. https://doi.org/10.1002/acp.3408.
  2. Kovic, Marko, and Tobias Füchslin. 2017. “Probability and Conspiratorial Thinking.” SocArXiv, March. https://dx.doi.org/10.17605/OSF.IO/B6QTF.

4 Comments on “Neue Studie: Verschwörungstheorien und Wahrscheinlichkeit”

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  4. Guten Tag .
    Wie können Sie Korona -Massnamen Kritiker in den gleichen Topf werfen wie Verschwörungstheoretiker!
    Ich weiss nicht wo sie ihre Informationen hernehmen.
    Vielleicht gaben so viel Angst vor fakenews, dass Sie sich nicht mehr wirklich darüber informieren. Was bei in den Menschen vor sich geht.
    Gruss Regula Reppas

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