„Wissenschaftsbarometer Schweiz“: Wie die Schweizer Bevölkerung zu Wissenschaft steht

Marko KovicBlogLeave a Comment

Das Projekt „Wissenschaftsbarometer Schweiz“1, das am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich durchgeführt wird, geht der Frage nach, wie die Bevölkerung der Schweiz zu unterschiedlichen Aspekten von Wissenschaft steht. Nun liegen ersten Ergebnisse der schweizweit durchgeführten Befragung vor2.

Interesse an Wissenschaft und Forschung

Eine der Fragen, welche den Befragten gestellt wurde, ist, wie stark sie sich, auf einer Skala von 1 bis 5, für Wissenschaft und Forschung interessieren. Das Ergebnis ist beachtlich – eine Mehrheit gibt an, sich stark bis sehr stark für Wissenschaft zu interessieren:

interesse

Grundsätzlich also interessieren sich die Menschen in der Schweiz recht stark für Wissenschaft und Forschung. Dieser Befund muss aber in mindestens zweifacher Hinsicht mit Vorsicht genossen werden. Erstens ist unbekannt, was genau die Befragten unter Wissenschaft und Forschung verstehen – möglicherweise meint jemand Pharmaforschung, jemand anderes Robotik, und nochmals jemand anderes denkt an Science Fiction-Filme. Zweitens spielt bei dieser Frage recht wahrscheinlich das Phänomen der „sozialen Erwünschtheit“3 4 5 eine bedeutende Rolle. Soziale Erwünschtheit meint, dass Befragte nicht ihre aufrichtige Meinung kundtun, sondern oftmals tendenziell so antworten, wie sie glauben, dass es von der Gesellschaft im Allgemeinen, von dem jeweiligen Gesprächspartner im Besonderen als angebracht angesehen wird. Ein möglicher weiterer verzerrender Effekt ist eine Art Selbstselektion: Wenn sich potenzielle Befragte für das Thema der Befragung nicht interessieren, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie an der Befragung teilnehmen 6 7.

Trotz der möglichen verzerrenden Aspekte dürfte das Gesamtbilt die Realität gut abbilden: Die Schweizer Bevölkerung interessiert sich tendenziell für Wissenschaft und Forschung.

Grundlagenforschung

Wissenschaftliche Forschung ist oft problemorientiert: Mit konzentrierter Forschungsanstrengung sollen bestimmte Sachverhalte beschrieben, erklärt und ggf. gelöst werden. Demgegenüber ist Grundlagenforschung Forschung, welche nicht einen unmittelbaren, direkten Nutzen zeitigt, sondern allgemeines Wissen generiert, welches möglicherweise irgendwann anwendungsorientiert eingesetzt werden kann.

Die Schweizer Bevölkerung ist tendenziell sehr deutlich der Meinung, auch Grundlagenforschung sei notwendig:

grundlagenforschung

Staatliche Förderung

Wissenschaftliche Forschung kann an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Formen stattfinden, und die finanzielle Förderung von Wissenschaft kann über unterschiedliche Quellen geschehen.

Die Schweizer Bevölkerung ist tendenziell der Ansicht, dass der Staat eine wichtige Rolle bei der Förderung von Wissenschaft haben soll:

staatliche-foerderung

Wissenschaft und Gesellschaft

Einige Punkte der Umfrage widmen sich der Frage, wie die Wechselwirkungen zwischen dem Wissenschaftssystem und der breiteren Gesellschaft aussehen sollen.

wissenschaft-und-gesellschaft

Eine grosse Mehrheit ist der Ansicht, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öffentlich über ihre Forschung kommunizieren sollen. Allerdings – und das ist interessant – sind die Befragten deutlich weniger stark der Meinung, sie selber sollten mitentscheiden, zu welchen Themen Wissenschaftler forschen.

Insgesamt deuten diese vorläufigen Ergebnisse darauf hin, dass die tendenzielle Haltung gegenüber Wissenschaft in der Schweiz eine positive und interessierte ist. Die Menschen interessieren sich für Wissenschaft und Forschung, und sie wollen, dass Wissenschaft öffentlich gefördert wird. Dabei gestehen sie dem Wissenschaftssystem eine gewisse Freiheit zu: Die Themen, welche wissenschaftlich beforscht werden, wollen sie eher nicht selber direkt beeinflussen, und sie sehen zudem auch Sinn und Nutzen in der (meistens nicht unmittelbar anwendungsorientierten) Grundlagenforschung.

Autor

References

  1. http://www.wissenschaftsbarometer.ch/
  2. http://www.wissenschaftsbarometer.ch/ergebnisse-resultats/
  3. Grimm, Pamela. 2010. “Social Desirability Bias.” In Wiley International Encyclopedia of Marketing. John Wiley & Sons, Ltd. http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/9781444316568.wiem02057/abstract.
  4. Hebert, James R., Lynn Clemow, Lori Pbert, Ira S. Ockene, and Judith K. Ockene. 1995. “Social Desirability Bias in Dietary Self-Report May Compromise the Validity of Dietary Intake Measures.” International Journal of Epidemiology 24 (2): 389–98. doi:10.1093/ije/24.2.389.
  5. Nederhof, Anton J. 1985. “Methods of Coping with Social Desirability Bias: A Review.” European Journal of Social Psychology 15 (3): 263–80. doi:10.1002/ejsp.2420150303.
  6. Groves, Robert M., Stanley Presser, and Sarah Dipko. 2004. “The Role of Topic Interest in Survey Participation Decisions.” Public Opinion Quarterly 68 (1): 2–31. doi:10.1093/poq/nfh002.
  7. Keeter, Scott, Courtney Kennedy, Michael Dimock, Jonathan Best, and Peyton Craighill. 2006. “Gauging the Impact of Growing Nonresponse on Estimates from a National RDD Telephone Survey.” Public Opinion Quarterly 70 (5): 759–79. doi:10.1093/poq/nfl035.

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