Verschwindet Religion bis 2041?

Marko KovicBlog, Skeptiker-Blog2 Comments

Vor einigen Tagen machte die Meldung einer neuen Studie die Runde, welche angeblich demonstriert, bis 2041 werde Religion verschwinden. U.a. der humanistische Pressedienst hpd berichtete darüber:

hpg religion 2041

Intuitiv scheint eine Zeitspanne von unter 30 Jahren etwas gar kurz für das Verschwinden jedweder Religion. Intuition ist aber unzuverlässig, und es lohnt sich ein Blick in die Studie selber: Was genau soll bis wann wie verschwinden?

Schritt 1: Schludriger Journalismus

Der hpd-Artikel zitiert einen Artikel des Guardian Express (einer Webseite aus Las Vegas, welche nichts mit dem britischen Blatt The Guardian zu tun hat):

guardian express religion 2041

«Zitieren» ist dabei milde ausgedrückt, denn hpd hat einfach einen Teil des Guardian Express-Artikels unverändert übernommen.

Im Originalartikel, müsste man meinen, wird die im Titel erwähnte neue Studie direkt erwähnt, idealerweise darauf verlinkt. Dem ist leider nicht so. Es ist mir ein Rätsel, wie jemand über «neue Studien» berichten kann, ohne zu nennen, um welche Studien es sich eigentlich handelt. Das ist oft ein Zeichen, dass die betroffene Person die Studie gar nie angeschaut, geschweige denn gelesen hat.

Immerhin wird der Autor der Studie im Guardian Express-Artikel zitiert, sodass über eine Google-Suche die Quelle des Zitates ausfindig gemacht werden kann (das Zitat des Autors hat Guardian Express einfach von anderswo abgeschrieben):

psychology today religion 2041

Ein Artikel auf Psychology Today, und zwar von Juli 2011. Soviel also zur «neuen» Studie.

Die interessierende Studie, auf welche sich der Artikel von Psychology Today bezieht, trägt den Titel «A Cross-National Test of the Uncertainty Hypothesis of Religious Belief» (Download als PDF)  – und behauptet an keiner Stelle, Religion werde bis 2041 verschwinden. Woher Guardian Express diese Aussage und diese Zahl hat, ist unklar. Klar ist jedenfalls, dass hpd diese Meldung ohne jede Eigenleistung übernommen hat.

Schritt 2: Schludrige Studie

In der Studie Titel «A Cross-National Test of the Uncertainty Hypothesis of Religious Belief» (Download als PDF) prüft der Evolutionspsychologe Nigel Barber eine «Ungewissheitshpothese», welche postuliert, dass (S. 319):

[…]religion helps people deal with painful and unpredictable events in their lives[…]

In andere Worte gefasst (S. 319):

If religion is primarily an adaptation to psychological uncertainty (the uncertainty hypothesis), then religious belief would be expected to decline in modern societies that enjoy greater existential security due to increased ability to prevail over the hostile forces of nature (e.g., predators, hunger, inclement weather, diseases).

Wo existentielle Sicherheit höher ist, so die Hypothese, sinkt der Grad der Religiosität. Das ist eine nicht unplausible Annahme, und eine, welche aus sozialwissenschaftlicher Sicht empirisch gut gestützt ist. Im Rahmen der «World Values Survey»-Wertewandelsforschung zeigt sich beispielsweise, dass eine Form des Wertewandels im Zuge der Industrialisierung auftritt, wenn traditionelle Werte wie Religiosität intergenerational von rational-säkularen Werten abgelöst werden. Dabei wird plausibilisiert (z.B. in «Modernization, Cultural Change and Democracy»), dass, nicht unähnlich der «Ungewissheitshypothese», der Bedarf an übersinnlichen Erklärungen und Autoritätsfiguren sinkt, wie die technologisch-wissenschaftliche Beherrschung der Natur zunimmt (die Welt wird, wie Max Weber es formulierte, über Rationalisierungsprozesse entzaubert). Im Übergang zu postindustriellen Gesellschaften sind existentielle Grundbedürfnisse in der Lesart der Maslowschen Bedürfnispyramide zunehmend gedeckt, sodass die in einer postmateriellen Gesellschaft sozialisierten Generationen Kapazitäten für das Anstreben «höherer» Bedürfnisse haben.

Der genaue Ablauf dieses kulturellen Wandels hin zu, letztlich, demokratie-zuträglicher Kultur wird in unterschiedliche Konzepte gefasst (z.B. «Materialismus vs. Postmaterialismus», «autoritäre vs. libertäre» Werte, oder, klassisch, von «parochialer» hin zu «partizipativer» Kultur), besagt aber stets etwas sehr ähnliches: Zuerst das Fressen, dann die Moral. Je besser die Grundbedürfnisse gedeckt sind, desto mehr kognitives Potenzial für rational-demokratisches Handeln ist vorhanden, womit auch eine Abnahme religiöser Zugehörigkeit einhergeht.

Bedeutet diese in den Sozialwissenschaften etablierte Forschungstradition zu Wertewandel, dass die hier interessierende Studie über Religiosität grundsätzlich von hoher Güte ist? Leider nein.

Die Studie ist in mindestens drei Punkten mangelhaft:

  1. Theoretische Grundlage
    Die Studie postuliert nicht bloss kausale Zusammenhänge zwischen der Verbreitung von Religiosität und dem Grade des gesellschaftlichen Wohlstandes, sondern erklärt das Ganze mit dem evolutionspsychologischen Argument, Religion sei die Folge eines Merkmals, welches sich im Laufe der Evolution durchgesetzt habe. Das Problem ist, dass diese Studie in keinerlei Art erlaubt, diese evolutionspsychologische Hypothese zu prüfen. Es werden lediglich Zusammenhangsmasse zwischen der Verbreitung von Religion und anderen Daten auf der Makro-Ebene von Staaten berechnet.
    Hier zeigt sich ein generelles Problem der Evolutionspsychologie, welches für mich die Frage aufwirft, ob dieses Feld überhaupt als Wissenschaft gelten kann. Evolutionspsychologie postuliert gut klingende Hypothesen – modernes menschliches Handeln als Folge evolutionärer Selektionsprozesse – , welche aber nicht wirklich widerlegbar sind. Zudem werden komplexe soziale Phänomene wie eben die Geschichte und Funktion von Religionen auf simplistische «es ist Selektion»-Hypothesen reduziert, obwohl die Variabilität des interessierenden Phänomens (z.B. Religion) dadurch in keiner Weise erklärt wird. Auch scheint in Arbeiten zu Evolutionspsychologie immer wieder angenommen zu werden, dass jedes Merkmal explizit einen evolutionären Vorteil bedeutet haben musste, weil es das Merkmal ansonsten nicht gäbe; dies ist ein klassisches Missverständnis über Evolution (vgl. hier oder hier).
  2. Studiendesign
    Die vorliegende Studie ist eine Querschnittuntersuchung, für welche über 100 Untersuchungseinheiten (Staaten) miteinander verglichen werden, aber für nur einen Zeitpunkt. Für Untersuchungen mit Fragestellungen wie jene dieser Studie sind aber Längsschnittuntersuchungen unumgänglich, weil im Grunde immer interessiert, ob die empirisch beobachtbaren Entwicklungen den theoretisch postulierten entsprechen oder nicht. Ein einziger Querschnitt ist schlicht zu wenig aussagekräftig.
  3. Operationalisierung
    Die Variablen, anhand derer der Autor seine Hypothese(n) prüft, sind z.T. viel zu grob gehalten. So sind etwa dia Variable «Moslem» (Ist Islam die domanten Religion?) und «Communist» (Ist der Staat kommunistisch bzw. ex-kommunistisch?) dichotom gehalten, haben also nur zwei Ausprägungen, obwohl sie viel differenzierter messbar sind. Andere Variablen sind unplausibel, z.B. der Gini-Koeffizient, welcher ein Merkmal für die Ungleichverteilung von Einkommen und/oder Vermögen in einem Staat ist. Der Autor behandelt den Gini-Koeffizienten als Indikator für existentielle Not in einem Staat, was falsch ist: Ein hoher Gini-Koeffizient, in der Studie eine hohe Einkommens-Ungleichverteilung, kann auch in einem sehr entwickeltem Staat vorhanden sein, sodass auch jene mit verhältnismässig wenig Einkommen noch sehr wohlhabend sind. Dasselbe gilt für die Variable der Besteuerung als Anteil des Bruttoinlandproduktes, wo der Autor spekuliert, weniger Besteuerung bedeute weniger staatliche Sozialleistungen und damit weniger existentielle Sicherheit.

Wenn auch die oben kritisierten Punkte die Ergebnisse der Studie sehr relativieren (wenn das Fundament der Studie wenig sinnvoll ist, ist auch deren Output nicht wirklich von Belang), sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen (S. 326):

Selection_001

Tabelle 2 fasst die Ergebnisse der multiplen linearen Regression zusammen. Die Effektstärken sind insgesamt eher schwach (ausser bei den dichotomen Variablen «Moslem» und «Communist»); der prominente Einfluss des Anteils Landwirtschaftsangestellter im Modell ist der Log-Transformation der Variable geschuldet.

Fazit: Achtung Confirmation Bias

Der Fall der «Religion verschwindet bis 2041»-Studie ist das Zusammenspiel schlechten Journalismus und schlechter Wissenschaft und in der Summe, befürchte ich, ein Symptom für ein grösseres Problem.

Sowohl der Studienautor als auch die Kanäle, welche über die Studie berichtet haben, gehören zum skeptisch-humanistisch-aufgeklärten Lager. Wenn auch solche Individuen und Gruppierungen (zu welchen ich mich auch zähle) im Grunde kritisches Denken und Rationalität verfechten, zeigt das vorliegende Beispiel, dass man allzu gerne bereit ist, auf dem skeptischen Auge blind zu sein, solange nur die eigene Meinung gestützt wird. Das ist gefährlich.

Autor

2 Comments on “Verschwindet Religion bis 2041?”

  1. Nigel Barber hat seine These 2012 in dem Kindle-Buch „Why Atheism Will Replace Religion: The triumph of earthly pleasures over pie in the sky“ erläutert. Obwohl ich es auch erst nicht glauben wollte, fand ich seine Darstellung recht überzeugend, insbesondere wird dort auf die oben angegebenen Einwände eingegangen.

    Das Buch ist jedenfalls sehr interessant und empfehlenswert für alle, die sich für die demografische Entsicklung von Religion und Atheismus interessieren.

  2. Interessante These – also sorgen wir mal dafür, dass bis 2041 alle Menschen ihre Bedürfnisse auf natürlichem Weg befriedigen können, dann haben sie kein Bedürfnis mehr für Übernatürliches – eigentlich doch ganz einfach, nicht wahr? 😀
    Sollte das nicht gleich funktionieren, dann ist das auch nicht weiter tragisch – das Befriedigen-Können aller Bedürfnisse reicht ja für’s Erste auch schon, da können wir auf das höhere, edlere Ziel auch noch ein wenig warten… 😉

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