WLAN am Bahnhof als Gefahr für die Gesundheit?

Marko KovicBlog, Skeptiker-Blog9 Comments

Heute berichtete Tages-Anzeiger Online, dass der geplante Ausbau von WLAN-Hotspots an Bahnhöfen der SBB bei gewissen Leuten auf Unmut stösst:

Tagi SBB WLAN

Im Artikel wird erklärt, «elektrosensible» Menschen würden durch WLAN-Strahlung, oder genereller: «Elektrosmog», an «zahlreichen Beschwerden» leiden, wie Peter Schlegel von «Bürgerwelle Schweiz» festhält. Die Nationalrätin Yvonne Gilli will kein Verbot, fordert aber, man solle diese «empfindlichen» Menschen schützen.

Macht WLAN am Bahnhof das Zugfahren bald zum Gesundheitsrisiko?

Elektromagnetische Strahlung ist überall (und nicht pauschal gefährlich)

Der Begriff «Strahlung» ist sehr negativ konnotiert. Die meisten von uns assoziieren damit intuitiv eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit. Schliesslich «strahlt» radioaktives Material, und wer in hoher Dosis «bestrahlt» wird, lebt nicht lang. Sogar die Sonne, die dank ihrer «Strahlung» überhaupt erst Leben auf der Erde ermöglicht, kann uns sehr direkt schaden und beispielsweise Hautkrebs verursachen. Doch «Strahlung» ist nicht gleich «Strahlung».

Alle elektromagnetische Strahlung, egal ob die Emissionsquelle menschengemacht ist oder nicht,  lässt sich im elektromagnetischen Spektrum verorten (Artikel zum Bild):

2000px-Electromagnetic_spectrum_c.svg

Eine wichtige Unterscheidung betrifft die Frage, ab welcher Wellenlänge elektromagnetische Strahlung in der Lage ist, zu ionisieren, d.h., ob die Strahlung bei Atomen oder Molekülen Elektronen entfernen kann. Ionisierende Strahlung kann für den Menschen unmittelbar gefährlich werden, betrifft aber glücklicherweise nur einen Teil des elektromagnetischen Spektrums. Wellenlängen von ca. 200nm und kleiner sind ionisierend; grössere Wellenlängen, darunter der Teil des Spektrums des für uns sichtbaren Lichtes, sind nicht-ionisierend. WLAN-Antennen operieren im Mikrowellenbereich und haben eine Wellenlänge von 12.5 cm (bei 2.4 GHz-Antennen) oder ca. 6 cm (bei 5 GHz-Antennen), sind also deutlich nicht-ionisierend.

Aber so einfach ist die Geschichte noch nicht, denn dieses Gerät:

Mikrowellenofen

arbeitet mit derselben Strahlung wie dieses:

Fritzbox wlan

Ein Mikrowellenofen und ein WLAN-Adapter strahlen beide Mikrowellen aus. Mikrowellenofen verursachen zwar keinen Krebs, können aber die Dinge sehr schnell sehr heiss machen. Ist flächendeckendes WLAN also doch eine Gefahr?

Nein, denn ein Mikrowellenofen arbeitet mit einer anderen Leistung als eine WLAN-Antenne. Hier ein Vergleich in grafischer Form:

WLAN-Antennen haben also deutlich weniger Leistung «unter der Haube» – und de facto keinen thermischen Effekt.

Im Tagi-Artikel wird noch erwähnt, die Weltgesundheitsorganisation stufe Mikrowellenstrahlung als «möglicherweise Krebserregend» ein. Wie kann das sein, wenn Mikrowellen wie oben erwähnt nicht-ionisierend sind? Das Problem ist eher ein begrifflich-definitorisches, nicht ein medizinisches.

Die Unterorganisation der WHO, welche diese Klassifikation vornimmt, ist die «International Agency for Research on Cancer», oder kurz «IARC». Die IARC teilt Agenten in fünf Kategorien ein: «1 – Krebserregend für Menschen», «2A – Wahrscheinlich krebserregend für Menschen», «2B – Möglicherweise Krebserregend für Menschen», «3 – Nicht klassifizierbar bezüglich der Karzinogeität für Menschen» und «4 – Wahrscheinlich nicht krebserregend für Menschen» (in Kategorie 4 verortet IARC lediglich einen einzigen Stoff, Caprolactam).

Das bedeutet also, dass Mikrowellen-Strahlung nicht in die Kategorie 1 mit «erwiesen» oder Kategorie 2 mit «wahrscheinlich» fällt, sondern in Kategorie 3 mit «möglicherweise». Wie wird das «möglicherweise» begründet? Mit der ausführlichen, 2013 erschienenen Metaanalyse «Non-Ionizing Radiation, Part 2: Radiofrequency Electromagnetic Fields»:

IARC monograph 102

Einige Zitate aus der Besprechung der Analyse. Seite 408:

Effect estimates from these studies were generally too imprecise to make them informative.

Seite 409:

In summary, in the INTERPHONE study there was no increased risk of glioma associated with having ever been a regular user of mobile phones. However, there were indications of an increased risk of glioma at the highest levels of cumulative call time, for ipsilateral exposures, and for tumours in the temporal lobe, but chance or bias may explain this increased risk.

Seite 409, zu einer anderen Studie:

It was the only study to assess exposure to cordless phones. By using registries for case ascertainment and population-based controls, and by achieving high response rates, the investigators minimized the potential for selection bias. However, the possibility of information bias cannot be excluded, and specific validation studies were not carried out in this population.

Seite 411:

While the association of exposure to RF radiation with cancer of the brain has been examined in a substantial number of studies, exposure misclassification and insufficient attention to possible confounding limit the interpretation of the findings. Thus, there is no clear indication of an association of occupational exposure to RF radiation with risk of cancer of the brain.

Seite 412:

In summary, while there were weak suggestions of a possible increase in risk of leukaemia or lymphoma associated with occupational exposure to RF radiation, the limited exposure assessment and possible confounding make these results difficult to interpret.

Seite 412, zu einer anderen Studie:

Together, these studies provide no indication that environmental exposure to RF radiation increases the risk of brain tumours.

Zusammenfassend auf Seite 419:

While affected by selection bias and information bias to varying degrees, these studies showed an association between glioma and acoustic neuroma and mobile-phone use; […]

Mit anderen Worten: Die epidemiologischen Untersuchungen, welche einen möglichen Zusammenhang zwischen Radiostrahlen und bestimmen Tumoren aufzeigen, sind nicht robust, aber die Ergebnisse können nicht einfach ignoriert werden – es geht schliesslich um Krebs. Die IARC hat, dies nur am Rande, in erster Linie den Einfluss von Mobilfunkstrahlung untersucht und nicht von WLAN-Antennen; Mobilfunkantennen strahlen mit mehr Leistung und sind in der Regel viel näher am Körper als WLAN-Antennen.

Elektrosensibilität: Das Leiden ist real, die Ursachen nicht

Im Tagi-Artikel werden explizit sogenannte «elektrosensible» Menschen als Leidtragende des SBB-WLAN-Netzes erwähnt: Menschen, bei denen nicht-ionisierende elektromagnetische Strahlung angeblich unangenehme Symptome verursacht.

Ein Stück weit sind wir alle «elektrosensibel»: Wenn zu wenig Infrarotstrahlung vorhanden ist, ist uns kalt, wenn zuviel Infrarotstrahlung vorhanden ist, jammern wir über die Hitze. Doch in diesem Zusammenhang sind explizit Menschen gemeint, denen Radiowellen (Mikrowellen gehören dazu) zu schaffen machen. Dieses Phänomen wurde schon mehrmals untersucht, z.B. 2010 in der Stude «Idiopathic environmental intolerance attributed to electromagnetic fields (formerly ‘electromagnetic hypersensitivity’): An updated systematic review of provocation studies» (Download als PDF).

Die Schlussfolgerund dieser Übersichtsarbeit ist eindeutig (S. 9):

To date, 46 studies involving 1175 volunteers with IEI-EMF have tested whether exposure to electromagnetic fields can trigger the symptoms reported by this group. These studies have produced little evidence to suggest that this is the case or that individuals with IEI-EMF are particularly adept at detecting the presence of electromagnetic fields. On the other hand, many of these studies have found evidence that the nocebo effect is a sufficient explanation for the acute symptoms reported in IEI-EMF.

Das bedeutet nicht, dass «elektrosensible» Menschen Simulanten sind, ganz im Gegenteil: In der Regel leiden diese Menschen tatsächlich, nur ist die Quelle ihres Leides nicht dort, wo sie sie vermuten. Schlimmstenfalls wird mit der nicht-medizinischen Diagnose «Elektrosensibilität» eine andere, reale Krankheit ignoriert, und damit damit ergeben sich allerlei Gefahren. Es scheint höchst verantwortungslos, dass medizinisch ausgebildete Personen wie Yvonne Gilli solche Pseudo-Diagnosen stellen.

Fazit: Freie Bahn für WLAN

WLAN-Strahlung hat, nach aktuellen Wissen, keine direkten negativen Folgen für die Gesundheit: Mikrowellen sind nicht-ionisierend, und WLAN-Antennen senden mit geringer Leistung.

«Elektrosensibilität» ist nach aktuellem Wissen kein tatsächliches Phänomen, die unspezifischen und ggf. spezifischen Symptome, welche die Betroffenen damit verbinden, sind es hingegen durchaus. Der eigentliche Skandal bei dieser ganzen Geschichte, über den zu berichten es sich lohnen würde, ist denn auch, dass solche Menschen, die mit ernsthaften Problemen kämpfen, von der Elektrosmog-Industrie schamlos ausgenutzt werden.

Weitere Bildquellen: Bild 1, Bild 2.

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9 Comments on “WLAN am Bahnhof als Gefahr für die Gesundheit?”

  1. Ein Wichtiger Punkt noch den die Gegner von Funkantennen immer wieder einbringen ist die Pulsierende Strahlung. Ihr Argument ist dieses, dass sich die Pulsierende Strahlung der Mobilfunkantennen ganz anders auswirkt als die kontinuierliche Strahlung z,.B. der Sonne oder eines Heizkörpers. Doch auch das ist absoluter Schwachsinn, da es sich immer um Frequenzen unterhalb des ionisierenden Bereichs handelt. Einfach mit Unterbrüchen.

  2. Guter Artikel, bis auf zwei Kritikpunkte:
    – Die abgebildete FritzBox ist kein Adapter sondern ein Router
    – Auch WLAN-Antennen können sehr nahe beim Körper sein. Man zeige mir heute noch ein Telefon ohne WLAN…

    Sehe ich das richtig, dass Röntgenstrahlung durchaus gefährlich sein kann?

    1. Die FritzBox ist ein Router, aber wie viele Router heutzutage auch ein WLAN-Access Point (daher die Antennen). Auch fand ich das Föteli ganz hübsch ;).

      Der Punkt mit WLAN bei Telefonen stimmt; ich selber telefoniere sogar ab und an explizit über WLAN.

      Röntgenstrahlen sind ionisierend und daher gefährlich, ganz genau. In sehr kleinen Dosen (z.B. bei ärztlichen Untersuchungen) ist die Gefahr aber verhältnismässig klein. Dennoch werden nicht „auf Vorrat“ Röntgenbilder gemacht ;).
      Vgl. auch diese schöne Übersicht:
      http://xkcd.com/radiation/

      Grüsse

  3. Noch ein nicht unwichtiger Unterschied zwischen einem Mikrowellenherd und einem WLAN-Router: Der Herd arbeitet präzise auf der Resonanzfrequenz von Wassermolekülen, der WLAN-Router nicht. Würde der Herd die korrekte Frequenz „verfehlen“, würde er unser Essen auch mit 600W Leistung kaum erhitzen können.

  4. Der Artikel impliziert, dass eine Schädigung nur durch Ionisierung oder thermische Effekte möglich seien. Offensichtlich sind aber biologische Prozesse auch ohne Ionisierung und Aufheizen möglich, siehe Fotosynthese. Entsprechend muss auch mit unerwünschten Wirkungen gerechnet werden, wenn die oben genannten zwei Bedingungen nicht erfüllt sind. Guter Kandidat für Nebeneffekte ist Resonanz, insbesondere bei gepulsten Signalen. So kann ein Stroboskop in der Disco einen Epileptiker aus dem Gleichgewicht bringen. Eine Wirkung von Mobilfunk auf Honigbienen wurde zum Beispiel schon gezeigt (http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs13592-011-0016-x)

    1. Biologische Prozesse sind ohne Ionisierung und Aufheizung möglich. Im Falle von Mikrowellen ist aber schlicht nicht erwiesen, dass beim Menschen andere biologische Prozesse verursacht werden, und, dass solche Prozesse schädlich wären.

      Der Wirkungskanal des Stroboskopes sind die sichtbaren Lichtimpulse, der Effekt bei Epileptikern läuft über visuelle Reize. Gepulste Signale bei Radiowellen (inkl. Mikrowellen), bedeuten lediglich, wie Chris oben sagt, dass die Strahlung mit Unterbrüchen gesendet wird, die Art der Strahlung und deren Wirkungsweisen werden dadurch aber nicht verändert. Warum hieraus spezifische Effekte resultieren sollen, ist gründlich zu begründen.

      In der verlinkten Studie ist, wenn ich das überfliegend richtig sehe, die Studienanordnung eine solche, dass (unabhängig der Ergebnisse) gemessen wird, ob die Bienen auf die Töne reagieren, welche aus einem Lautsprecher stammen (hier waren Telefone diese Lautsprecher).

      Gruss

    2. Es ist tatsächlich so, dass es Tiere gibt, die auf elektromagnetische Strahlung reagieren (Zitter-Rochen und -Aale sowie gewisse Delphine). Daraus zu schliessen, dass auch der Mensch die Fähigkeit zur Elektrorezeption ausserhalb des für uns sichtbaren Farbspektrums hat ist aber sicher nicht statthaft. Tatsächlich zeigen bis jetzt alle Untersuchungen, dass dies nicht der Fall ist. Daher kann die allgemeine Aussage dass für nichtionisierende Strahlungen ausschliesslich thermische Effekte (ob in Resonanz oder nicht) nachgewiesen wurden als richtig bezeichnet werden.

  5. Pingback: Skeptische Randnotiz: Neue WLAN-Schockstudie - ach du meine Kresse! | Skeptiker Schweiz

  6. Angenommen, und das ist nicht einmal ganz abwegig, die Wirkung elektromagnetischer Strahlung entspricht jener einer radioaktiven Strahlung. Dann hätten wir auch hier das Problem, dass irgendwelche gesundheitlichen Probleme einer bestimmten Ursache nicht nachweisbar zuzuschreiben sind. Denn geringe Dosisleistungen können, müssen aber nicht zu irgend etwas Schädigendem führen. Was aber nicht heisst, dass sie es nicht doch tun. Dazu kommt, dass Einzelanteile im Verbund eines kummulativen Effekts besonders schwer wirkungsspezifisch belegbar sind, ja, sogar der Summeneffekt als solcher ist es.
    Schlicht gesagt: Niemand weiss nichts genaues.

    Was immer wieder empfohlen wird und tatsächlich wohl ein sinnvoller Ratschlag ist: Halte Dein Leben so schadstoffarm wie möglich. Und das gilt für Arten für Immissionen (Luft, Wasser, Nahrung, Strahlung) , gerade in Hinblick möglicher kummulativer Effekte.

    Man darf ruhig eine etwas zartere Haltung zu sich selbst haben, und sollte sich fragen: Muss ich mir alle zweifelhaften Errungenschaften dieser Welt voll antun, nur weil Interessenvertreter sagen, dieses und jenes schade mir nicht?

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